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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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unglückliche Dame, die Dame, welche ihre Tränen erpreßte, der Tyrann, der sie zittern machte, der Mann, der mit dem Kammermädchen der Dame ein Lied sang und den Refrain tanzte, über den sie lachen mußte, das Pony, das sich auf den Hinterbeinen aufrichtete, als es den Mörder sah, und um keinen Preis wieder auf allen vieren spazieren wollte, bis jener in Haft genommen war, der Clown, der sich solche Vertraulichkeiten ge
gen den Herrn Soldaten in hohen Stiefeln erlaubte, die Dame, die über neunundzwanzig Bänder sprang und doch wohlbehalten auf dem Rücken des Pferdes anlangte! Alles war entzückend, prachtvoll und überraschend. Der kleine Jakob klatschte, bis er keine Hand mehr rühren konnte; Kit schrie am Schlusse von all und jedem, selbst als das dreiaktige Stück beendet war, ›encore‹, und Barbaras Mutter klopfte in ihrer Verzückung mit dem Regenschirm auf den Boden, bis die Spitze fast bis zum Stoff abgeklopft war.
    Inmitten dieses Zaubers schienen jedoch Barbaras Gedanken sich noch immer mit dem zu beschäftigen, was Kit beim Tee gesagt hatte, und als sie das Theater verließen, fragte sie ihn mit zimperlicher Empfindlichkeit, ob Miß Nell wohl so schön wäre wie die Dame, die über die Bänder gesprungen sei.
    »So schön wie die ?« sagte Kit. »Zweimal so schön.«
    »Ach, Christoph! Sie war doch unbedingt das schönste Frauenzimmer, das es jemals gegeben hat«, versetzte Barbara.
    »Unsinn!« erwiderte Kit. »Ich will nicht leugnen, daß sie ganz passabel war; aber man muß bedenken, wie sie gekleidet und geschminkt war und was das für einen Unterschied macht. Da gefallen Sie mir weit besser, Barbara.«
    »Ach, Christoph!« sagte Barbara die Augen niederschlagend.
    »Den einen wie den andern Tag«, entgegnete Kit, »und auch Ihre Mutter.«
    Arme Barbara!
    Was war indes alles dies, ja alles dies gegen die außerordentliche Verschwendung, die nun folgte, als Kit mit einer Kühnheit, wie wenn er dort zu Hause wäre, in einen Austernladen trat und, ohne den Zahltisch oder den Mann dahinter eines Blickes zu würdigen, seine Gesellschaft in eine Loge, in eine Privatloge führte, die mit roten Vorhängen, einem weißen Tischtuch und einem Essig-und-Ölfläschchen-Gestell ausgestattet
war und einen wilden, backenbärtigen Gentleman, der den Kellner spielte und ihn, nämlich den Christoph Nubbles, ›Sir‹ titulierte, drei Dutzend seiner größten Austern, aber geschwind, bringen hieß! Ja, Kit sagte zu diesem Herrn, er solle sich tummeln, und dies war nicht nur gesagt, sondern es geschah auch; denn er kam sogleich mit den letztgebackenen Broten, der frischesten Butter und den größten Austern, die man je gesehen, wieder zurück. Dann sagte Kit zu diesem Herrn: »Eine Kanne Bier!« genau mit diesen Worten, und der Herr, statt zu erwidern: ›Sir, sprechen Sie mit mir in einem solchen Tone?‹, entgegnete nur: »Kanne Bier, Sir? Ja, Sir!« und entfernte sich, sie zu holen; dann stellte er sie auf den Tisch in einen kleinen Blechuntersatz, wie ihn auf der Straße die Hunde der blinden Männer im Maul zu tragen pflegen, um die Halbpence einzusammeln; und als er weg war, erklärten ihn sowohl Kits als auch Barbaras Mutter für einen der schlanksten und graziösesten jungen Männer, die sie je gesehen hätten.
    Dann ging es allen Ernstes über das Mahl her; und da war Barbara, die dumme Barbara, die erklärte, sie könne nicht mehr als zwei Austern essen, und sich mehr nötigen ließ, als man wohl glauben würde, bis sie vier verspeiste, obgleich sichs ihre Mutter und Kits Mutter ganz wohl sein ließen und aßen und lachten und sich so gut unterhielten, daß Kit ihr Anblick wohltat und er in herzlicher Sympathie mitlachte und mitaß. Aber das größte Wunder des Abends war der kleine Jakob, der Austern verzehrte, als wäre er zu diesem Geschäft geboren und erzogen worden; er bediente sich des Pfeffers und Essigs mit einer Umsicht, die über seine Jahre ging, und nachher baute er aus den Schalen eine Grotte auf dem Tisch. Und dann war auch das kleinste Brüderchen da, das den ganzen Abend kein Auge geschlossen, sondern echt wie Gold ausgehalten hatte, das krampfhaft versuchte, eine große Orange in den
Mund zu zwängen, und aufmerksam die Lichter des Kronleuchters betrachtete; da saß es auf dem Schoße seiner Mutter, starrte die Gaslichter an, ohne zu blinzeln, und machte mit einer Austernschale so kräftige Eindrücke in sein sanftes Gesicht, daß ein Herz von Eisen es hätte lieben müssen! Kurz, es

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