Der Raritätenladen
und nickte heftig. Ob etwas in der eigentümlichen Schlauheit ihres Benehmens lag, das Quilp bezauberte, oder ob der Ausdruck ihres Gesichts aus irgendeinem andern Grund seine Aufmerksamkeit auf sich zog oder ob es ihm vielleicht bloß Spaß machte, die Kleine durch sein Anstarren aus der Fassung zu bringen, eins ist gewiß: er stützte seine Ellbogen breit und fest auf das Pult, schob mit den Händen die Backen in die Höhe und glotzte sie unverwandt an.
»Woher kommt Sie?« fragte er nach einer langen Pause, sein Kinn reibend.
»Ich weiß nicht.«
»Wie heißt Sie?«
»Gar nicht.«
»Unsinn!« entgegnete Quilp. »Wie ruft Sie Ihre Gebieterin, wenn sie etwas von Ihr will?«
»Kleiner Teufel«, versetzte die Kleine. Aber in demselben Atem, als fürchte sie Verrat, fügte sie hinzu:
»Wollen Sie nicht so gut sein, Ihren Auftrag oder eine Karte hierzulassen?«
Diese ungewöhnlichen Antworten hätten allerdings zu weiteren Fragen Veranlassung geben können. Quilp jedoch wandte wortlos seine Augen von der kleinen Magd ab, rieb sich, noch nachdenklicher als vorhin, das Kinn, bückte sich dann über das Billett, als wolle er mit besonderer Genauigkeit und Nettigkeit die Adresse schreiben, und sah, zwar verstohlen, aber sehr scharf, unter seinen buschigen Augenbrauen nach ihr hin. Das Ergebnis dieser geheimen Musterung war, daß er mit den Händen sein Gesicht beschattete und leise und listig vor sich hinlachte, bis jede Ader auf seinem Antlitz zum Bersten anschwoll. Dann drückte er seinen Hut in die Stirn, um seine Heiterkeit und deren Wirkungen zu verhüllen, warf der Kleinen den Brief zu und entfernte sich hastig.
Sobald er auf der Straße war, brach er, von irgendeinem geheimen Impulse angeregt, in ein lautes Lachen aus, hielt sich die Seiten, lachte wieder und versuchte, durch das staubige Geländer des Vorplatzes zu gucken, als wollte er noch einen Blick auf das Kind erhaschen, bis er ganz müde war. Endlich trat er seinen Weg nach der ›Wildnis‹ an, die nur eine Schußweite von seinem Junggesellenschloß entfernt war, und bestellte für nachmittags Tee für drei Personen, der in dem Lusthause serviert werden sollte. Die Einladung für Miß Sally Braß und deren Bruder, dort an dem kleinen Mahle teilzunehmen, war der Zweck seines Ganges und seines Billetts gewesen.
Das Wetter war nicht ganz so, wie man es liebt, wenn man in Sommerhäusern Tee trinken will, geschweige denn in Sommerhäusern, deren Verfall schon ziemlich vorgerückt ist und die zur Zeit der Ebbe einen Ausblick auf die schlammigen Ufer eines großen Flusses gewähren. Trotzdem aber ließ Herr Quilp in dieses auserlesene Winkelchen einen kalten Imbiß bringen, und unter seinem brüchigen und schadhaften Dache
empfing er zur bestimmten Stunde Herrn Sampson und dessen Schwester Sally.
»Sie lieben die Schönheiten der Natur«, sagte Quilp mit einem Grinsen. »Ist dies nicht bezaubernd, Braß? Ist es nicht ungewöhnlich, unverdorben, einfach?«
»Wirklich ganz entzückend, Sir!« versetzte der Rechtsgelehrte.
»Kühl?« sagte Quilp.
»Ni-nicht gerade besonders, glaube ich, Sir«, entgegnete Braß, während ihm die Zähne im Munde klapperten.
»Vielleicht ein bißchen feucht und sumpfluftig?« meinte Quilp.
»Gerade feucht genug, um fröhlich zu sein«, erwiderte Braß. »Nicht ärger, Sir, nicht ärger.«
»Und Sally?« sprach der entzückte Zwerg. »Wie behagts ihr?«
»Es wird ihr besser behagen«, versetzte diese starkgeistige Dame, »wenn sie Tee bekommen hat. Lassen Sie ihn also bringen und schwatzen Sie nicht!«
»Süße Sally!« rief Quilp, die Arme ausstreckend, als wolle er sie an seine Brust ziehen. »Sanfte, bezaubernde, hinreißende Sally!«
»Er ist wirklich ein sehr merkwürdiger Mann!« sprach Herr Braß vor sich hin. »Er ist ein wahrer Troubadour, kann man sagen, ein vollkommener Troubadour!«
Diese schmeichelhaften Worte wurden in einer etwas geistesabwesenden und zerstreuten Weise gemurmelt; denn der unglückliche Rechtsgelehrte, der bereits Kopfreißen hatte, war auf dem Herwege naß geworden und würde nun gern ein Geldopfer gebracht haben, wenn er sein derzeitiges unbehagliches Quartier mit einem warmen Zimmer hätte vertauschen und sich beim Feuer hätte trocknen können. Quilp jedoch, der, abgesehen von seinen teuflischen Launen, die er befriedi
gen mußte, Sampson noch seine Erkenntlichkeit für die Rolle bezeigen wollte, die dieser bei der Trauerszene gespielt hatte, deren versteckter Zeuge Quilp gewesen
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