Der Raritätenladen
blieben sie stehen. Der Schulmeister probierte zuerst mehrere Schlüssel vergeblich, bis er endlich einen fand, der für das ungeheure Schloß paßte. Kreischend schnappte es zurück und ließ sie eintreten.
Der Raum, in den sie traten, war ein gewölbtes Gemach, einst mit edlen Ornamenten geziert, und noch jetzt waren an der mit Graten versehenen Decke und dem reichen steinernen Maßwerk wundervolle Überreste der alten Pracht erhalten. Da war noch in Stein gemeißeltes Laubwerk, wetteifernd mit der Meisterhand der Natur, das berichten sollte, wie oft die jungen Blätter draußen ersprossen und verwelkt waren, während es selbst unverändert fortlebte. Die zerborstenen Figuren, die den Kaminsims stützten, ließen, in schroffem Gegensatz zu dem Staube draußen, trotz ihrer Verstümmelung noch deutlich erkennen, was sie gewesen, und standen traurig neben dem leeren Herd, Geschöpfen gleich, die ihre Gattung überlebten und nun über ihren eignen nur zu langsamen Verfall wehklagten.
In irgendeiner längst vergangenen Zeit – denn selbst die Veränderungen waren schon alt an diesem alten Orte – war in dem Gemach eine hölzerne Scheidewand gezogen worden, um den einen Teil derselben in ein Schlafkabinett umzuwandeln, in das damals durch ein roh gearbeitetes Fenster oder vielmehr durch eine in die dicke Mauer gehauene Nische Licht einströmte. Diese Wand nebst zwei Stühlen bei dem breiten Kamin hatten vor längst vergessenen Jahren zu der Kirche
oder dem Kloster gehört; denn die eichene Täfelung, die zu diesem Zweck verwendet wurde, hatte nur wenig von ihrer früheren Gestalt verloren und zeigte dem Auge eine Menge Überreste aus dem reichen Schnitzwerk alter Chorstühle. Eine offene Tür, die zu einem kleinen Gemach oder einer Zelle führte, nur matt von dem durch Efeulaub einfallenden Lichte erleuchtet, vervollständigte das Innere dieses Teils der Ruine. Es fehlte nicht ganz an Möbeln. Ein paar seltsame Stühle, deren Arme und Beine aussahen, als seien sie von Altersschwäche abgezehrt, ein Tisch, den man in seiner Art ein wahres Gespenst nennen konnte, eine große, alte Truhe, die ehemals die Kirchenchroniken aufbewahrt hatte, nebst anderm wunderlichen Hausgerät und einem Vorrat von Brennholz für den Winter standen oder lagen zerstreut umher und bekundeten, daß das Haus noch vor nicht langer Zeit bewohnt war.
Das Kind schaute mit jenem feierlichen Gefühl umher, mit dem wir die Werke entschwundener Jahrhunderte betrachten, die zu bloßen Wassertropfen in dem großen Ozean der Ewigkeit geworden sind. Der alte Mann folgte ihnen; aber alle drei blieben eine Weile stumm und atmeten nur ganz leise, als fürchteten sie das Schweigen auch nur durch den leisesten Ton zu unterbrechen.
»Hier ist es sehr schön!« sagte das Kind mit gedämpfter Stimme.
»Ich fürchtete fast, du würdest anderer Meinung sein«, versetzte der Schulmeister. »Du schaudertest beim Eintreten, als ob dir kalt oder unheimlich wäre.«
»Das war es nicht«, entgegnete Nell, indem sie mit einem leichten Schauder umhersah; »ich weiß wirklich nicht, was es war, aber als ich das Gebäude draußen von dem Kirchhof aus betrachtete, kam dasselbe Gefühl über mich. Vielleicht kommt es daher, weil es so alt und grau ist.«
»Ein friedlicher Ort für eine Wohnstätte, meinst du nicht auch?« fragte ihr Freund.
»O ja«, erwiderte das Kind, ernst die Hände faltend, »ein stiller, glücklicher Ort, ein Ort, an dem man leben und sterben lernen kann!«
Sie würde noch mehr gesagt haben, aber die Gedanken, die auf sie einstürmten, verursachten ein Beben ihrer Stimme und ließen nur ein zitterndes Flüstern über ihre Lippen gleiten.
»Ein Platz, an dem man leben, leben lernen und an Leib und Seele gesunden kann«, sagte der Schulmeister; »denn dieses alte Haus gehört euch!«
»Uns?« rief das Kind.
»Ja«, entgegnete der Schulmeister heiter, »und ich hoffe, für viele künftige, glückliche Jahre. Ich werde euer unmittelbarer Nachbar sein – die nächste Tür ist die meine –, aber dieses Haus ist euch angewiesen.«
Nachdem der Schulmeister sich dieser überraschenden Kunde entledigt hatte, setzte er sich nieder, zog Nell an seine Seite und erzählte ihr, wie er erfahren hatte, daß dieses alte Gebäude lange Zeit hindurch von einer alten, fast hundertjährigen Person bewohnt worden sei, welche die Kirchenschlüssel aufbewahrte, die Kirche zum Zwecke des Gottesdienstes öffnete und schloß und sie den Fremden zeigte; sie sei vor
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