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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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wenn ich drunten auf seinem Gartenbette liege und er sich nicht umwenden kann, um mich zu küssen! Aber wenn du gehst, Nell«, fügte der Knabe hinzu, indem er liebkosend sein Gesicht an das ihrige drückte, »sei lieb mit ihm um meinetwillen. Sage ihm, daß ich ihn noch immer liebhabe und wie sehr ich dich liebgehabt habe. Und wenn ich denke, daß ihr zwei beieinander und glücklich seid, so will ich versuchen, es zu ertragen, und dir nie durch Unarten weh tun, ja, ich will es gewiß nie!«
    Nell ließ sich nun die Hände wegziehen und schlang sie um seinen Hals. Es war ein tränenreiches Schweigen; aber es dauerte nicht lange, und sie sah den Kleinen schon wieder lä
chelnd an und versprach ihm mit ungemein weicher und ruhiger Stimme, sie wolle bleiben und seine Freundin sein, solange der Himmel es zulasse. Er schlug freudig seine Hände zusammen und dankte ihr wiederholt. Sie gebot ihm, keinem Menschen zu sagen, was zwischen ihnen vorgefallen sei, was er auch auf das feierlichste versprach.
    Er hielt Wort – soviel nämlich Nell davon erfahren konnte –, kam übrigens nie wieder auf dieses Thema zurück, das ihr schmerzlich geworden zu sein schien, obgleich er sich den Grund ihrer Traurigkeit nicht erklären konnte, blieb ihr ruhiger Begleiter auf allen ihren Spaziergängen und saß still neben ihr, wenn sie nachdenklich wurde. Er traute ihr aber doch nicht ganz; denn er kam oft, sogar spät am Abend, um vor der Tür draußen mit schüchterner Stimme zu fragen, ob sie wohlbehalten zu Hause wäre. Und wenn er eine bejahende Antwort erhielt und man ihn aufforderte hereinzukommen, ließ er sich gewöhnlich auf einem Schemel zu ihren Füßen nieder und blieb geduldig sitzen, bis man ihn suchte und mit heimnahm. So sicher täglich ein neuer Morgen heraufdämmerte, so sicher war er täglich in der Nähe des Hauses zu treffen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, und morgens, mittags oder abends ließ er alle seine Spielkameraden und Spiele im Stich, um ihr Gesellschaft zu leisten, wenn er wußte, daß sie irgendwohin ging.
    »Und obendrein ist er ein guter, kleiner Freund«, sagte einmal der alte Totengräber zu ihr. »Als sein älterer Bruder starb – ich sollte eigentlich das Wort alt nicht gebrauchen, da er erst sieben Jahre zählte –, war es dieser Kleine, der sich besonders kränkte; ich erinnere mich dessen noch recht gut.«
    Nell dachte an die Worte des Schulmeisters und fühlte, wie sich deren Wahrheit sogar an diesem unmündigen Kinde offenbarte.
    »Ich glaube, er ist seitdem etwas still geworden«, fuhr der alte Mann fort, »obgleich er trotzdem zeitweilig noch lustig genug ist. Ich wette, Sie und er haben an dem alten Brunnen etwas zu erlauschen versucht.«
    »Nein, gewiß nicht«, versetzte Nell. »Ich fürchtete mich, ihm nahe zu kommen, und gehe überhaupt nicht oft in jenen Teil der Kirche; ich kenne den Brunnen gar nicht.«
    »So kommen Sie mit mir hinab«, sagte der alte Mann. »Ich kenne ihn von Jugend auf. Kommen Sie!«
    Sie stiegen die schmalen Treppen hinunter, die zur Gruft führten, und blieben unter den dunkeln Gewölben an einer finstern und düstern Stelle stehen.
    »Dies ist der Ort«, sagte der alte Mann. »Geben Sie mir Ihre Hand, damit Sie, wenn Sie den Deckel zurückwerfen, nicht stolpern und hinunterfallen. Ich bin zu alt – das heißt, die rheumatischen Schmerzen sitzen mir noch zu sehr in den Gliedern –, als daß ich mich bücken könnte.«
    »Ein finsterer und schrecklicher Ort!« rief die Kleine.
    »Sehen Sie hinunter«, sagte der alte Mann, indem er mit dem Finger nach der Öffnung deutete.
    Nell gehorchte und schaute in die Tiefe hinab.
    »Es sieht aus wie ein leibhaftiges Grab«, sagte der alte Mann.
    »Freilich«, versetzte das Kind.
    »Es ist mir oft so vorgekommen«, fuhr der Totengräber fort, »als habe man ursprünglich den Brunnen nur deshalb gegraben, um den alten Ort noch düsterer und die alten Mönche noch frömmer zu machen. Er soll geschlossen und überbaut werden.«
    Das Kind blieb noch immer stehen und sah gedankenvoll in die hohle Tiefe.
    »Wir wollen sehen«, sagte der Totengräber, »über welchen frohen Häuptern sich neue Erde geschlossen haben wird, wenn
es einmal hier mit dem Licht ein Ende hat. Weiß Gott! Sie wollen den Brunnen zuwerfen im nächsten Frühjahr.«
    »Im Frühjahr singen die Vögel wieder«, dachte Nell, als sie an ihrer Fensterbrüstung lehnte und in die untergehende Sonne schaute. »Frühling! Welch eine schöne und glückliche

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