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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Zeit!«

Sechsundfünfzigstes Kapitel
    Am ersten oder zweiten Tage nach Quilps Teegesellschaft in der ›Wildnis‹ ging Herr Swiveller zur gewohnten Stunde in die Kanzlei des Herrn Sampson Braß, und da er zufällig in diesem Tempel der Rechtschaffenheit allein war, legte er seinen Hut auf das Pult, zog aus seiner Tasche einen schmalen Streifen schwarzen Flors, legte ihn zusammen und steckte ihn wie ein Hutband fest. Nachdem er dieses Anhängsel zustande gebracht, betrachtete er seine Arbeit mit großem Wohlgefallen, setzte den Hut wieder auf und drückte ihn ganz schief in die Stirn, um den Effekt der Trauer zu erhöhen. So zu seiner vollkommenen Zufriedenheit ausstaffiert, steckte er seine Hände in die Taschen und spazierte gemessenen Schrittes in der Kanzlei auf und ab.
    »So ging es mir immer«, sagte Herr Swiveller, »immer und ewig. Es war immer so, von Jugend auf mußt mich mein schönstes Hoffen trügen; ich durfte keiner Blüte nahen, sollt sie nicht schnell im Sturm verfliegen. Nie zog ich mir ein liebevolles Weibchen, daß mich ihr Aug bestrahl mit Lust, daß ich nicht sehen mußt das Täubchen sich einem Handelsgärtner werfen an die Brust.«
    Von solchen Betrachtungen überwältigt blieb Herr Swiveller vor dem Klientenstuhle stehen und warf sich in dessen offene Arme.
    »Und das«, sagte Herr Swiveller mit einer Art trotziger Fassung, »das nennt man, glaube ich, Leben. Natürlich, und warum nicht? Ich bin ganz zufrieden. Ich will es tragen«, fügte Richard hinzu, indem er seinen Hut wieder abnahm und ihm einen Blick zuwarf, als würde er nur durch pekuniäre Rücksichten abgehalten, ihn mit seinen Füßen zu treten, »ich will es tragen, dies Sinnbild weiblicher Treulosigkeit, als Erinnerungszeichen an sie, mit der ich nie mehr Tanzfiguren schlingen werde, deren Gesundheit ich nie wieder ausbringen will mit dem ›Rosigen‹ und die für den kurzen Rest meines Daseins meine Ruhe gemordet. Ha ha ha!«
    Damit dem Schluß dieses Selbstgespräches nicht Disharmonie zum Vorwurf gemacht werde, muß ich bemerken, daß Herr Swiveller nicht mit einem fröhlichen, heiteren Lachen endigte, was ohne Zweifel im Widerspruch zu seinen feierlichen Betrachtungen gestanden hätte, sondern daß er, einmal in einer theatralischen Laune, nur eine Vorstellung zum besten gab, die man in Melodramen ›das Gelächter eines Teufels‹ nennt; denn es scheint, daß Teufel immer in Silben lachen, und zwar in drei Silben, nie mehr und nie weniger, was eine merkwürdige und beachtenswerte Eigentümlichkeit dieses würdigen Geschlechtes ist.
    Diese schrecklichen Töne waren kaum verhallt, und Herr Swiveller saß noch immer in einer gar grimmigen Stimmung auf dem Klientenstuhl, als ein Klingeln oder, um den Schall seiner trüben Stimmung anzupassen, ein Totengeläute an der Bureautür sich hören ließ. Er öffnete mit aller Hast und schaute in das ausdruckslose Antlitz des Herrn Chuckster, den er alsbald mit einem brüderlichen Gruß empfing.
    »Du bist teufelmäßig früh in dieser verpesteten alten Mörderhöhle«, sagte dieser Gentleman, indem er auf einem Beine balancierte und das andere nachlässig hin und her schlenderte.
    »Ziemlich«, versetzte Dick.
    »Ziemlich?« entgegnete Herr Chuckster mit jener Miene graziöser Sorglosigkeit, die ihm so gut stand. »Das sollt ich meinen. Ei, mein Freundchen, weißt du auch, wieviel es geschlagen hat? – Halb zehn Uhr morgens.«
    »Willst du nicht hereinkommen?« sagte Dick. »Mutterseelenallein. Swiveller solus. ›Dies ist des Zaubers …‹«
    »›Nächtliche Stunde!‹«
    »›Wo Gräber sich öffnen …‹«
    »›Und Tote machen die Runde.‹«
    Nach Beendigung dieses dialogisierten Zitates fiel jeder der beiden Gentlemen in eine Attitüde, worauf sich beide wieder zur Prosa herabließen und in die Kanzlei spazierten. Solche Begeisterungsbrocken waren etwas Gewöhnliches unter den ›gloriosen Apollers‹ und bildeten in der Tat die Kette, die sie zusammenknüpfte und über die ertötende Langeweile der Erde erhob.
    »Nun, und wie befindest du dich, altes Haus?« sagte Herr Chuckster, indem er einen Stuhl nahm. »Ich sah mich genötigt, wegen einiger kleiner Privatangelegenheiten in die City zu gehen, und konnte nicht an der Ecke vorbei, ohne ein bißchen hier anzuklopfen; aber bei meiner Seele, ich erwartete nicht, dich zu treffen. Es ist noch so unmenschlich früh.«
    Herr Swiveller bedankte sich höflich. Und da sich aus der weiteren Unterhaltung ergab, daß er gesund und

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