Der Raritätenladen
Augenblick seufzte die keusche Sara laut auf.
»Ach du mein Himmel!« rief Herr Sampson. »Auch du? Was gibt es denn? Herr Richard, Sir …«
Dick, der auf Sally blickte, bemerkte, daß sie ihm durch Zeichen zu verstehen gab, er möchte ihrem Bruder den Gegenstand ihrer Besprechung mitteilen. Da seine eigene Lage nicht die angenehmste war, bis die Geschichte auf die eine oder die andere Art klargestellt war, so willfahrte er; und Miß Braß, die ihrer Schnupftabaksdose ganz ungeheure Prisen entnahm, bestätigte seinen Bericht.
Sampsons Gesicht verlängerte sich, und Angst überflog seine Züge. Anstatt jedoch ungestüm über den Verlust seines Geldes zu wehklagen, schlich er auf den Zehen zur Tür, öffnete sie, sah hinaus, machte sie leise wieder zu, kehrte auf den Fußspitzen zurück und sprach flüsternd:
»Dies ist ein ganz ungewöhnlicher und sehr peinlicher Fall, Herr Richard, ein sehr peinlicher Fall. Tatsache ist, daß ich selbst kürzlich mehrere kleine Summen, die ich auf das Pult gelegt hatte, vermißte, und ich unterließ es, über die Sache zu sprechen, nur weil ich hoffte, ein Zufall würde zu der Entdeckung des Verbrechers führen. Dies ist aber nicht der Fall gewesen, es ist nicht der Fall gewesen. Sally, Herr Richard, dies ist eine besonders bedauerliche Geschichte!«
Während Sampson sprach, legte er in der Zerstreuung die Banknote auf das Pult unter einige Papiere und steckte seine Hände in die Taschen. Richard machte ihn darauf aufmerksam und ermahnte ihn, die Banknote an sich zu nehmen.
»Nein, Herr Richard«, versetzte Braß in großer Aufregung, »ich will sie nicht nehmen. Sie soll dort liegenbleiben, Sir. Sie zu mir zu stecken würde einen Zweifel gegen Sie in sich schließen, gegen Sie, Sir, in den ich unbedingtes Vertrauen setze. Wir wollen sie hier liegenlassen und sie unter keinen Umständen wegnehmen.«
Mit diesen Worten klopfte ihm Herr Braß zwei- oder dreimal freundlich auf die Schulter und versicherte ihm, daß er so viel Vertrauen in seine Ehrlichkeit setze wie in seine eigne. Obgleich Herr Swiveller zu einer andern Zeit dies für ein zweideutiges Kompliment genommen hätte, so fühlte er doch unter den obwaltenden Umständen eine große Erleichterung durch die Versicherung, daß man keinen Verdacht gegen ihn hege. Er gab eine höfliche Antwort, worauf Herr Braß ihm die Hand drückte, um gleich darauf, wie Miß Sally, in tiefes
Nachdenken zu versinken. Auch Richard konnte sich dieser Stimmung nicht erwehren; er fürchtete jeden Augenblick, eine Anschuldigung gegen die Marquise zu vernehmen, und war doch nicht imstande, der Meinung zu widerstehen, sie müsse schuldig sein.
Sie verharrten einige Minuten in diesem Zustande, als Miß Sally plötzlich mit geballter Faust auf das Pult schlug und ausrief: »Ich habe es getroffen!«, was auch allerdings der Fall war, denn es hatte sogar Splitter gegeben. Sie hatte jedoch nicht das Pult gemeint.
»Wohlan«, rief Braß ängstlich, »so sprich dich aus!«
»Nun«, versetzte seine Schwester mit triumphierender Miene, »ist in den letzten drei oder vier Wochen nicht beständig jemand in dem Bureau ein und aus gegangen? Ist dieser Jemand nicht manchmal allein in der Kanzlei geblieben, durch deine Schuld natürlich; und willst du mir weismachen, daß dieser Jemand nicht der Dieb sei?«
»Welcher Jemand?« brauste Braß auf.
»Ei, wie nennt ihr ihn doch – Kit!«
»Der junge Mensch bei Herrn Garland?«
»Gewiß.«
»Nein, nimmermehr!« rief Braß. »Niemals. Ich will nichts davon hören. Sag doch nicht …«, sagte Sampson, indem er den Kopf schüttelte und mit beiden Händen umherfuchtelte, als habe er tausend Spinnengewebe aus seinem Gesicht zu wischen. »Ich werde es nie von ihm glauben, nie!«
»Ich behaupte«, wiederholte Miß Braß, abermals eine Prise nehmend, »daß er der Dieb ist.«
»Und ich sage«, entgegnete Sampson noch ungestümer, »daß er es nicht ist. Was willst du damit sagen? Wie kannst du dich unterstehen? Darf man einem Menschen seine Ehre nur so mir nichts dir nichts abschneiden? Weißt du auch, daß er der ehr
lichste und treuste Bursche ist, der je gelebt hat, und daß er einen unantastbaren guten Namen besitzt? Herein! Herein!«
Diese letzten Worte waren nicht an Miß Sally gerichtet, obgleich sie in dem gleichen Tone entrüsteten Verweises gesprochen waren, der voranging, sondern galten vielmehr einer Person, die an die Bureautür geklopft hatte. Und kaum waren sie über die Lippen des Herrn Braß
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