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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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regungslos, bis sie ihr Mahl beendigt, alles an seinen Ort gestellt und den Herd abgefegt hatte; dann winkte er ihr, einen Stuhl an sein Bett zu rücken, und sobald er mit Hilfe von Kissen wieder aufgerichtet war, eröffnete er ein weiteres Gespräch.
    »Also weggelaufen?« fragte Dick.
    »Ja«, entgegnete die Marquise, »und sie haben nonciert.«
    »Haben – ich bitte um Verzeihung«, sagte Dick; »was haben sie getan?«
    »Nonciert – wissen Sie, nonciert – in den Zeitungen«, erwiderte die Marquise.
    »Ja, ja«, sagte Dick, »annonciert.«
    Die kleine Magd nickte und blinzelte. Ihre Augen waren vom Wachen und Weinen so rot geworden, daß selbst die tragische Muse nicht tragischer hätte blinzeln können. Und auch Dick fühlte dies.
    »Aber sage mir«, sprach er, »wie konnte es dir einfallen, hierherzukommen?«
    »Ja, wissen Sie«, versetzte die Marquise; »als Sie fort waren, hatte ich gar keinen Freund mehr, weil der Mietsmann auch nicht wieder zurückkam, und Sie können sich denken, daß ich nicht wußte, ob ich ihn oder Sie je wieder auffinden würde. Aber eines Morgens, als ich …«
    »Vor dem Schlüsselloch stand«, ergänzte Herr Swiveller, da er ihr Stocken bemerkte.
    »Nun ja denn«, entgegnete die kleine Magd nickend, »als ich vor dem Schlüsselloch der Kanzlei stand – wenn Sie mich schon durchschauen –, hörte ich eine Frauensperson sagen, sie wohne hier und sei die Besitzerin des Hauses, in dem Sie gemietet hätten; Sie seien sehr krank, und ob niemand kommen wolle, Sie zu pflegen. Herr Braß sagte dann: ›Es geht mich
nichts an‹, und Miß Sally sagte: ›Er ist ein schnurriger Kauz, aber es geht mich nichts an‹; und die Frau ging fort und schlug die Tür hinter sich zu – ich sag Ihnen! So entwischte ich denn in derselben Nacht, um hierherzukommen, und erzählte ihnen, Sie wären mein Bruder, und sie glaubten mir, und so bin ich seitdem hier.«
    »Und diese arme kleine Marquise hat sich fast zu Tode abgemüht!« rief Dick.
    »Keine Spur«, versetzte sie, »nicht im geringsten. Kümmern Sie sich nicht um mich. Ich bleibe gern auf, und Gott verzeih mir, ich habe oft auf einem von diesen Stühlen ein Schläfchen gemacht. Aber wenn Sie hätten mit ansehen können, wie Sie versuchten, aus dem Fenster zu springen, und wenn Sie gehört hätten, wie Sie gesungen und Reden gehalten haben, Sie würden's nicht glauben. – Jetzt bin ich froh, daß es Ihnen besser, geht, Herr Lebendiger.«
    »Lebendiger, bei Gott!« sagte Dick gedankenvoll. »Es ist gut, daß ich noch ein Lebendiger bin. Es kommt mir wahrhaftig so vor, als hätte ich sterben müssen, Marquise, ohne dich.«
    Herr Swiveller nahm abermals die Hand der kleinen Dienstmagd in die seinige, und da ihm, wie wir gesehen haben, noch sehr elend zumute war, so hätte er vielleicht in dem krankhaften Bestreben, ihr zu danken, ebenso rote Augen bekommen wie sie, wenn sie dem Gespräch nicht rasch eine andere Wendung gegeben hätte, indem sie ihn drängte, sich niederzulegen und sich recht ruhig zu verhalten.
    »Der Doktor sagte«, fuhr sie fort, »Sie müßten ganz stilliegen, niemand dürfe einen Lärm oder sonst etwas machen. Jetzt ruhen Sie sich erst wieder aus, und dann werden wir wieder reden. Sie wissen, ich bleibe bei Ihnen sitzen. Wenn Sie die Augen schließen, schlafen Sie vielleicht ein. Dann werden Sie nur um so frischer sein.«
    Nach diesen Worten rückte die Marquise einen kleinen Tisch an das Bett, setzte sich und schickte sich an, mit der Gewandtheit eines Chemikers einen kühlenden Trank zu bereiten. Richard Swiveller, der in der Tat erschöpft war, verfiel in einen Schlummer, aus dem er nach einer halben Stunde wieder erwachte; dann fragte er, wie spät es sei.
    »Gerade halb sieben vorbei«, versetzte seine kleine Freundin, indem sie ihm im Bett wieder aufhalf.
    »Marquise«, sagte Richard, mit der Hand über seine Stirn fahrend und sich plötzlich umwendend, als ob ihm dieser Gegenstand eben erst eingefallen wäre, »was ist aus Kit geworden?«
    Er sei auf viele, viele Jahre deportiert worden, lautete die Antwort.
    »Ist er fort?« fragte Dick. – »Seine Mutter, wie geht es ihr, was ist aus ihr geworden?«
    Seine Wärterin schüttelte den Kopf und erwiderte, daß sie nichts von ihnen wisse.
    »Aber wenn ich glauben könnte«, fügte sie langsam hinzu, »daß Sie ruhig bleiben und sich nicht in ein anderes Fieber hetzen würden, so könnte ich Ihnen etwas sagen; aber ich will jetzt nicht.«
    »Oh, tu es«, sagte Dick, »es

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