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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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zu sehen, so würden Sie mir, denke ich, kaum glauben. Aber obgleich ich unglücklich bin, ja sogar verbrecherisch, meine Herren, wenn ich mir so harte Ausdrücke in einer Gesellschaft wie dieser erlauben darf, so habe ich doch meine Gefühle wie andere Menschen. Ich hörte oft von einem Poeten reden, der die Bemerkung machte, Gefühle seien allen Menschen ohne Unterschied eigen. Diese Äußerung hätte ihn unsterblich machen müssen, und wenn er ein Ferkel gewesen wäre.«
    »Wenn du nicht ein vollkommener Idiot bist«, entgegnete Miß Braß barsch, »so halte dein Maul!«
    »Sara, meine Liebe«, versetzte ihr Bruder, »ich danke dir.
Aber ich weiß, was ich tue, mein Schatz, und will mir daher die Freiheit nehmen, mich demgemäß auszudrücken. Herr Witherden, Ihr Schnupftuch hängt aus der Tasche, wollen Sie mir erlauben, es zu …«
    Während Herr Braß näher trat, um diesem Versehen abzuhelfen, wich der Notar mit der Miene des Abscheus zurück.
    Braß, der außer seinen gewöhnlichen gewinnenden Eigenschaften ein zerkratztes Gesicht, eine grüne Binde über einem Auge und einen schrecklich verbeulten Hut hatte, blieb wie angewurzelt stehen und schaute mit einem kläglichen Lächeln umher.
    »Er meidet mich«, sagte Sampson, »selbst wenn ich, wie ich sagen möchte, glühende Kohlen auf sein Haupt sammeln will. Wohl! Ach, ich bin ja nur ein einstürzendes Haus, und die Ratten – wenn es mir erlaubt ist, einen solchen Vergleich einem Herrn gegenüber zu gebrauchen, den ich über alles achte und liebe – fliehen mich! Meine Herren, was Ihre jetzige Unterredung betrifft, so will ich bemerken, daß ich zufällig meine Schwester auf ihrem Wege hierher entdeckte, und da ich neugierig war, wohin sie ginge, und – darf ich es sagen – von Natur aus argwöhnisch bin, so folgte ich ihr. Seitdem habe ich gehorcht.«
    »Wenn du nicht toll bist«, fiel ihm Miß Sally ins Wort, »so hör jetzt auf und sprich kein Wort weiter!«
    »Meine liebe Sara«, versetzte Braß mit ungeminderter Höflichkeit, »ich danke dir verbindlichst, will aber trotzdem weiter reden. Herr Witherden, da wir die Ehre haben, Mitglieder desselben Standes zu sein – des andern Herrn gar nicht zu gedenken, der mein Mietsmann gewesen ist und sozusagen meines Hauses Gastfreundschaft genossen hat –, so sollte ich meinen, Sie hätten mir die Vorhand bei dieser Sache lassen können. Ja, gewiß. Nein, mein werter Sir«, rief Braß, als er be
merkte, daß der Notar im Begriff war, ihn zu unterbrechen, »lassen Sie mich ausreden, wenn ich bitten darf!«
    Herr Witherden schwieg, und Braß fuhr fort. »Wenn Sie freundlichst hierher schauen wollten«, sagte er, indem er die grüne Binde hob und ein schrecklich blutunterlaufenes Auge sichtbar werden ließ, »so werden Sie sich natürlich fragen, wie ich dazu kam. Wenn Sie Ihren Blick dann auf mein Gesicht lenken, werden Sie sich wundern, was wohl die Ursache all dieser Kratzwunden sein möchte. Und wenn Sie dann meinen Hut betrachten, so finde ichs begreiflich, daß Sie erfahren möchten, wie er in den Zustand kam, in dem Sie ihn sehen. Meine Herren«, fügte Braß hinzu, indem er mit geballter Faust ungestüm auf den Hut schlug, »auf alle diese Fragen habe ich nur die eine Antwort: Quilp!«
    Die drei Herren sahen einander an, ohne jedoch zu sprechen.
    »Ich sage«, fuhr Braß fort, indem er auf seine Schwester schielte, als gelte die Erklärung ihr allein, und bissige Gehässigkeit in seine Worte legte, die einen schroffen Gegensatz zu seiner gewöhnlichen öligen Höflichkeit bildete, »daß ich auf alle diese Fragen nur antworten kann: Quilp! Quilp, der mich in seinen Höllenpfuhl lockt und seine Lust daran hat, zuzusehen und zu lachen, während ich mich versenge, verbrenne, quetsche und verwunde! Quilp, der nie, nein, nicht ein einziges Mal während unseres gegenseitigen Verkehrs mich anders behandelt hat als einen Hund! Quilp, den ich immer aus dem Grunde meiner Seele haßte, aber nie so sehr als in der letzten Zeit. Er behandelt mich gerade in dieser Angelegenheit so geringschätzig, als ob er gar nichts mit ihr zu schaffen gehabt habe, obwohl er der erste Anlaß dazu war. Ich kann ihm nicht trauen. In einer seiner heulenden, wütenden und rasenden Stimmungen würde er, glaube ich, alles ausplaudern, auch wenn es
sich um einen Mord handelte, ohne an sich selbst zu denken, solange er mich in Schrecken jagen kann. Nun«, sagte Braß, indem er seinen Hut wieder aufsetzte, die Binde über das Auge zog und

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