Der Raritätenladen
Ihnen gleich nach ihrem Weglaufen nicht aufgefallen, daß zwei Schlüssel zu Ihrer Küchentür vorhanden sind?«
Miß Sally nahm eine zweite Prise, drehte den Kopf zur Seite und blickte mit krampfhaft verzogenem Mund auf den Frager; aber in ihrem Gesicht lauerte ein Ausdruck von Verschmitztheit, der sich nicht beschreiben läßt.
»Zwei Schlüssel«, wiederholte der Notar, »von denen der eine ihr Gelegenheit gab, nachts, während Ihr sie fest eingeschlossen glaubtet, durch das Haus zu streifen und vertrauliche Beratungen mit anzuhören; unter anderm jene besondere Konferenz, die heute von einem Friedensrichter zu Protokoll genommen werden soll, und Sie sollen Gelegenheit haben, die Angabe mit anzuhören. Ich meine nämlich jene Beratung, die Sie und Herr Braß am Vorabend jenes Tages hielten, als jener höchst unglückliche und unschuldige junge Mensch des Diebstahls angeklagt wurde, und zwar nur infolge eines schändlich ausgesponnenen Planes, von dem ich weiter nichts sagen kann, als daß auf ihn alle die Beiwörter nebst noch einigen kräftigeren passen, die Sie der unglücklichen Zeugin beizulegen beliebten.«
Sally nahm abermals eine Prise. Ihr Gesicht zeigte zwar eine wunderbare Fassung, aber man konnte deutlich sehen, daß sie sehr überrascht war und daß sie in bezug auf ihre kleine Dienstmagd eine ganz andere Beschuldigung erwartet hatte.
»Lassen wir das, Miß Braß«, fuhr der Notar fort. »Sie beherrschen zwar Ihre Züge großartig, aber Sie fühlen doch, wie ich sehe, daß durch einen Zufall, von dem Sie sich nichts träu
men ließen, dieses heillose Komplott entdeckt worden ist und zwei der Beteiligten vor den Richter gestellt werden müssen. Nun kennen Sie die für derartige Fälle angedrohten Strafen, weshalb ich nicht nötig habe, mich weiter darüber auszulassen; ich will Ihnen daher nur einen Vorschlag machen. Sie haben die Ehre, die Schwester eines der größten Schurken zu sein, die ungehangen umherlaufen, und sind, wenn ich mir gegen eine Dame diesen Ausdruck erlauben darf, in jeder Hinsicht seiner ganz würdig. Aber im Bunde mit euch zweien steht ein Dritter, ein Schuft namens Quilp, der die erste Triebfeder des ganzen teuflischen Planes und, wie ich glaube, in unserem Falle bei weitem der schlechteste ist. Um seinetwillen, Miß Braß, erweisen Sie uns die Gunst, die ganze Geschichte zu enthüllen. Ich will Sie daran erinnern, daß ein solcher Schritt Sie in unserem Falle in eine sichere und ungefährdete Lage bringen wird – Ihre augenblickliche ist jedenfalls keine wünschenswerte – und daß Sie Ihrem Bruder nicht schaden können; denn gegen ihn und gegen Sie haben wir, wie Sie hören, bereits vollkommen hinreichende Belege. Ich will nicht sagen, daß wir aus Barmherzigkeit diesen Weg einschlagen – denn offen gestanden hegen wir gar keine Rücksicht gegen Sie –, aber wir sehen uns zu dieser Notwendigkeit veranlaßt, und ich empfehle Ihnen dieselbe, als die beste Politik, die Sie beobachten können. Die Zeit«, fügte Herr Witherden hinzu, indem er seine Uhr zog, »ist bei einer solchen Angelegenheit außerordentlich kostbar. Teilen Sie uns daher Ihren Entschluß so schnell als möglich mit, Ma'am!«
Miß Braß sah mit lächelndem Gesicht der Reihe nach jeden der drei Anwesenden an, nahm dann etliche Prisen, und da ihr durch dies Manöver sehr wenig Tabak übriggeblieben war, suchte sie mit dem Zeigefinger und dem Daumen in der ganzen Dose herum, um eine vierte zusammenzukratzen.
Nachdem sie diese geschnupft und die Dose in ihre Tasche gesteckt hatte, sprach sie:
»Und soll ich diesen Vorschlag auf der Stelle annehmen oder verwerfen?«
»Ja«, antwortete Herr Witherden.
Das bezaubernde Wesen öffnete eben die Lippen, um eine Erwiderung zu geben, als sich plötzlich die Tür öffnete und der Kopf des Herrn Sampson Braß in das Zimmer gesteckt wurde.
»Entschuldigen Sie«, sagte dieser Herr hastig. – »Warte noch einen Augenblick!«
Mit diesen Worten und ohne sich an das Erstaunen zu kehren, das seine Erscheinung hervorrief, kroch er herein, machte die Tür zu, küßte seinen schmierigen Handschuh so knechtisch, wie ein Sklave den Staub küßt, und machte eine höchst demütige Verbeugung.
»Sara«, sagte Braß, »zügle deine Zunge, wenn ich bitten darf, und laß mich sprechen! – Meine Herren, wenn ich es auszusprechen vermöchte, welche Freude es mir macht, drei solche Männer in einer glücklichen Eintracht der Gefühle und in einer beseligenden Harmonie der Gesinnung
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