Der Raritätenladen
hielt – ein Umstand, welcher der Nachbarschaft mittels eines ovalen Bretts über dem Vorderfenster des ersten Stockes angekündigt wurde, auf dem mit zierlichen Schnörkeln das Wort »Damenseminar« zu lesen war. Einen weiteren Beleg dafür gab auch die Tatsache, daß man morgens zwischen halb zehn und zehn Uhr hin und wieder eine einzelne junge Dame von sehr zarten Jahren mit den Zehenspitzen auf dem Kratzeisen stehen sah, von dem aus sie, das Buchstabierbuch unter dem Arme, vergebliche Anstrengungen machte, den Türklopfer zu erreichen. Die verschiedenen Lehrgegenstände dieses Instituts waren also verteilt: Englische Sprachlehre, Stilübungen, Geographie und die Anwendung von Hanteln, um die Arme zu kräftigen – Miß Melissa Wackles; Schreiben, Rechnen, Tanzen, Musik und allgemeine Bezauberungskunst – Miß Sophia Wackles; Nähen, Wäschezeichnen und Mustersticken – Miß Jane Wackles; körperliche Züchtigungen, Fasten nebst anderen Torturen und Schreckmitteln – Frau Wackles. Miß Melissa Wackles war die älteste Tochter, Miß Sophia die zweite und Miß Jane die jüngste. Miß Melissa mochte fünfunddreißig Sommer oder etwas darüber zählen und neigte sich bereits dem Herbst ihres Lebens zu. Miß Sophia war ein frisches, heiteres, stämmiges Mädchen von zwanzig, und Miß
Jane hatte kaum sechzehn erreicht. Frau Wackles war eine ausgezeichnete, aber etwas giftige alte Dame von sechzig.
Nach diesem Damenseminar also eilte Richard Swiveller mit Plänen, die sehr verhängnisvoll für den Frieden der schönen Sophia waren; Sophia, in jungfräuliches Weiß gekleidet und nur mit einer einzigen sich erschließenden Rose geschmückt, empfing ihn inmitten sehr eleganter, um nicht zu sagen ›brillanter‹ Vorbereitungen. Diese bestanden in der Ausschmückung des Zimmers mit den kleinen Blumentöpfen, die sich stets außen auf dem Fenstersims befanden, wenn sie nicht etwa der Wind in den Hof hinunterwehte; in dem gewählten Anzug der Tagesschülerinnen, denen der Zutritt zu der Festlichkeit gnädigst gestattet worden war; in dem ungewöhnlichen Lockenbau der Miß Jane Wackles, die den ganzen vorhergehenden Tag ihre Haare auf Streifen von einem gelben Komödienzettel gewickelt getragen hatte, und in der feierlichen Höflichkeit und dem würdevollen Gebaren der alten Dame und ihrer ältesten Tochter, was Herrn Swiveller zwar als ungewöhnlich auffiel, aber keinen weiteren Eindruck auf ihn machte.
Die Wahrheit ist – und da man für den Geschmack nicht verantwortlich gemacht werden kann, so darf man sogar von einem so wunderlichen Geschmack wie diesem hier sprechen, ohne einer boshaften und eigensinnigen Erfindung bezichtigt zu werden – die Wahrheit ist, daß weder Frau Wackles noch ihre älteste Tochter je die Bewerbungen des Herrn Swiveller sehr begünstigten, da sie im Gegenteil gewohnt waren, seiner nur leichthin als eines »lustigen jungen Mannes« zu erwähnen, und jedesmal seufzten und bedenklich den Kopf schüttelten, wenn sein Name genannt wurde. Da Herrn Swivellers Benehmen gegen Miß Sophia von jener unbestimmten und hinhaltenden Art war, die gewöhnlich nicht im geringsten auf Hei
ratsabsichten deutet, so begann im Laufe der Zeit sogar die junge Dame es für höchst wünschenswert zu halten, daß der Sache auf die eine oder andere Weise ein Ende gemacht werde. Sie hatte deshalb endlich eingewilligt, gegen Richard Swiveller einen in sie verliebten Handelsgärtner auszuspielen, von dem sie wußte, daß er mit seinen Anträgen bereit sein würde, sobald er die geringste Ermutigung erhielte. Und dieser Einwilligung – das Fest war zu diesem Zwecke veranstaltet worden – lag auch ihr ängstliches Bestreben zugrunde, Richard Swiveller bei sich zu sehen; das hatte sie veranlaßt, das Billett, das ihm überreicht wurde, persönlich abzugeben.
»Wenn er überhaupt Aussichten oder Mittel hat, eine Frau anständig zu erhalten«, sagte Frau Wackles zu ihrer ältesten Tochter, »so muß er jetzt damit herausrücken oder nie.«
»Wenn ihm wirklich an mir gelegen ist«, dachte Miß Sophia, »so muß er sich diesen Abend erklären.«
Da Herr Swiveller von all diesen Gedanken, Worten und Werken nichts wußte, so kümmerte er sich auch nicht im mindesten um sie, sondern überlegte noch immer in seinem Geiste, wie er am besten seine Othello-Rolle tragieren könnte. Er wünschte eben, daß Sophia nur diesmal etwas weniger schön oder daß sie ihre Schwester sein möchte, was ebensogut zu seinem Plane gepaßt
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