Der Raritätenladen
hinkommen. Der Kellner entfernte sich mit diesem gebrechlichen Troste, und Richard Swiveller nahm nun ein schmieriges Notizbuch aus seiner Tasche, um etwas einzutragen.
»Geschieht das, um dich daran zu erinnern, falls du dein Versprechen vergessen solltest?« fragte Fritz höhnisch.
»Nicht gerade deshalb, Fritz«, antwortete Richard unbeirrt, indem er mit geschäftiger Miene zu schreiben fortfuhr; »ich notiere mir nur in diesem Buche die Namen der Straßen, die ich nicht passieren kann, solange die Läden offen sind. Das heutige Mittagessen versperrt mir Long-Acre. In Great Queen Street kaufte ich mir in der letzten Woche ein Paar Stiefel und schloß mir dadurch gleichfalls den Durchgang. Jetzt bleibt mir nur noch eine Gasse zum Strand offen, und diese werde ich mir heute abend mit ein Paar Handschuhen versperren müssen. Die Wege schließen sich nach allen Richtungen so schnell, daß ich in Monatsfrist drei oder vier Meilen über die Stadt hinausgehen muß, um über die Straße zu kommen, wenn meine Tante keine Wechsel schickt.«
»Sie werden am Ende doch nicht ganz ausbleiben?« fragte Trent.
»Nun, ich hoffe nicht«, erwiderte Herr Swiveller; »aber es braucht durchschnittlich sechs Briefe, um sie zu erweichen, und gegenwärtig habe ich es schon bis auf acht gebracht, ohne daß sie die geringste Wirkung ausübten. Morgen früh werde ich ihr aber wieder schreiben. Ich habe im Sinne, das Schreiben tüchtig zu verklecksen und etwas Wasser aus der Pfefferbüchse darauf träufeln zu lassen, damit es reuig aussieht. ›Ich bin in einer solchen Gemütsverfassung, daß ich kaum weiß, was ich schreibe‹ – Klecks – ›wenn Sie sehen könnten, wie ich in diesem Augenblicke Tränen über mein früheres, schlechtes Leben vergieße‹ – Pfefferbüchse – ›meine Hand zittert, wenn ich denke‹ – Klecks. Wenn das keine Wirkung tut, ist alles vorbei!«
Da Herr Swiveller inzwischen seinen Eintrag beendigt hatte, so steckte er, in vollkommen gravitätischer und ernster
Stimmung, den Bleistift wieder in seine kleine Scheide und machte das Buch zu. Sein Freund entdeckte, daß er jetzt einen Weg machen müsse, und so blieb Richard Swiveller allein in Gesellschaft des rosigen Weines und seiner Betrachtungen über Miß Sophia Wackles.
»Das ist etwas plötzlich«, sagte Dick, mit der Miene unendlicher Weisheit den Kopf schüttelnd, während er – seiner Gewohnheit gemäß – Versebrocken mit einer Eile abhaspelte, als ob sie bloße Prosa wären; »wenn das Herz des Mannes Furcht bedrückt, verschwindet der Nebel, sobald er Miß Wackles erblickt; sie ist ein sehr hübsches Mädchen. Sie gleicht der roten Rose, im Juni neu erblüht; sie gleicht dem süßen Liede, von Harmonie durchglüht – das ist nicht zu leugnen. Es ist in der Tat sehr plötzlich. Ich habe zwar nicht nötig, wegen Fritzens kleiner Schwester gleich kalt zu werden, aber es ist doch besser, nicht zu weit zu gehen. Wenn ich zu erkalten anfange, so muß es mit einem Male gehen, das sehe ich wohl ein, sonst riskiere ich einen Prozeß wegen Treubruchs – das ist ein Grund. Ferner könnte Sophia einen andern Mann kriegen – das ist ein zweiter; und endlich wäre es möglich – nein, das ist nicht zu fürchten, aber jedenfalls werde ich guttun, auf der Hut zu sein.«
Diese geheimnisvolle Erwägung bezog sich auf die Möglichkeit, die Richard Swiveller sogar vor sich selbst zu verbergen suchte, Miß Wackles' Reizen nicht widerstehen zu können und vielleicht in einem unbewachten Augenblicke sein Schicksal an das ihrige zu ketten, wodurch ihm natürlich die Möglichkeit genommen wurde, den merkwürdigen Plan, auf den er sich so bereitwillig eingelassen hatte, zu fördern. Aus all diesen Gründen kam er zu dem Entschlusse, ohne Verzug mit Miß Wackles Streit anzufangen, und er besann sich auf einen Vorwand, als den er grundlose Eifersucht wählte. Sobald
er über diesen wichtigen Punkt mit sich ins reine gekommen war, ließ er gar gemütlich das Glas kreisen, das heißt von seiner rechten Hand zur linken, und so wieder zurück, um seine Rolle mit desto größerer Umsicht spielen zu können; dann machte er einige kleine Verbesserungen an seiner Toilette und lenkte seine Schritte nach dem Orte, der durch den schönen Gegenstand seiner Betrachtungen geheiligt war.
Der Ort war Chelsea, denn dort wohnte Miß Sophia Wackles mit ihrer verwitweten Mutter und zwei Schwestern, mit denen sie gemeinschaftlich eine sehr kleine Tagschule für sehr kleine junge Damen
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