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Der Raritätenladen

Der Raritätenladen

Titel: Der Raritätenladen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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ruhig und sank in Schlaf, sich selbst leise einsingend wie ein kleines Kind. Er erwachte neugestärkt, und beide nahmen ihre Wanderung wieder auf. Der Weg war lieblich: er führte durch schöne Auen und Fruchtfelder, über denen hoch am klaren blauen Himmel sich die Lerche wiegte und ihr frohes Liedchen trillerte. Die Luft führte ihnen die Düfte zu, die sie unterwegs gefunden hatte, und die Bienen, getragen von ihrem würzigen Odem, summten in schläfrigem Behagen, als sie vorüberschwammen.
    Sie befanden sich nun auf dem offenen Lande; Häuser gab es nicht viele, und auch diese standen in langen, oft meilenweiten Zwischenräumen. Hin und wieder trafen sie auf eine Gruppe armseliger Hütten, deren offene Türen zum Teil durch eine Bank oder ein niedriges Brett verlegt waren, um die herumkrabbelnden Kinder von der Straße abzuhalten, während man andere geschlossen hatte, weil die ganze Familie auf dem Felde arbeitete. Dies war oft der Anfang eines kleinen Dorfes; in einiger Entfernung weiter hinten traf man dann auch die Werkstätte eines Stellmachers oder die Esse eines Hufschmiedes; dann kam vielleicht eine blühende Meierei, wo schläfrige Kühe im Hof herumlagen, während Pferde über die niedrige Mauer sahen und davonrannten, wenn Rosse in ihren Geschirren des Weges kamen, als wollten sie ihre Freiheit triumphierend zeigen. Auch träge Schweine waren da, die den Boden nach leckerer Kost durchwühlten und ihr monotones Grunzen ausstießen, wenn sie umherschnupperten oder sich bei
ihrem Suchen gegenseitig ins Gehege kamen; fette Tauben schwirrten um das Dach oder putzten sich auf den Traufen; und Enten und Gänse, die sich für gar anmutig halten mochten, watschelten täppisch an dem Rande des Weihers hin oder schwammen hurtig über dessen Oberfläche. Hinter der Meierei kam das kleine Gasthaus, die unbedeutendere Bierschenke und der Laden des Krämers; dann die Wohnungen des Advokaten und des Pfarrers, bei deren gefürchteten Namen die Bierschenke zitterte; dann schaute die Kirche bescheiden aus einer Gruppe von Bäumen heraus; dann kamen noch einige Bauernhütten, dann der Triller und der Pfandstall und nicht selten ganz am Wege ein tiefer, staubiger Brunnen, nach diesem zu beiden Seiten die eingehegten Felder und endlich wieder die offene Landstraße.
    Sie gingen den ganzen Tag fort und schliefen die Nacht über in einem kleinen Bauernhause, wo Betten für Reisende zu vermieten waren. Am andern Morgen waren sie zeitig wieder auf den Beinen, und obgleich sie anfangs noch sehr ermüdet waren, erholten sie sich doch bald und schritten rüstig weiter.
    Sie machten oft halt, um auszuruhen, aber immer nur eine kleine Weile, worauf sie wieder aufbrachen, obschon sie am Morgen nur wenig zu sich genommen hatten. Es war beinahe fünf Uhr nachmittags, als sie sich abermals einem Haufen von Arbeiterhütten näherten. Das Kind sah sehnsüchtig jede an, zweifelnd, in welcher es ein Plätzchen für kurze Ruhe erbitten und einen Trunk Milch kaufen sollte.
    Es wurde Nelly nicht leicht, zu einem Entschlusse zu kommen, denn sie war schüchtern und fürchtete eine Zurückweisung. Hier weinte ein Kind, dort keifte eine Frau; in der einen Hütte waren ihr die Leute zu arm, in der andern waren ihrer zu viele.
    Endlich machte sie vor einem Hause halt, wo die Familie um einen Tisch herumsaß. Sie tat es hauptsächlich deshalb, weil ein alter Mann in einem Polsterstuhle neben dem Herd saß; sie hielt ihn für den Großvater und hoffte, er werde auch für den ihrigen Mitgefühl haben.
    Außerdem waren der Bauer und sein Weib da mit drei jungen, kräftigen Kindern, braun wie Bären. Ihrer Bitte wurde unverzüglich gewillfahrt. Der älteste Knabe eilte hinaus, um etwas Milch zu holen, der zweite schleppte zwei Schemel an die Tür, und der jüngste klammerte sich an das Gewand seiner Mutter und sah durch die sonnverbrannten Finger auf die Fremdlinge.
    »Gott grüß Euch, Herr!« sagte der alte Hüttenbewohner mit dünner, pfeifender Stimme. »Geht die Reise weit?«
    »Ja, Herr, wir haben einen weiten Weg vor uns«, versetzte Nelly, denn ihr Großvater forderte sie durch einen Blick auf, die Antwort zu geben.
    »Von London?« fragte der alte Mann.
    Das Kind bejahte diese Frage.
    Ah! Er war oft in London gewesen, hatte seinerzeit nicht selten zu Wagen dahin gemußt. Seit zweiunddreißig Jahren hatte er es aber nicht wieder gesehen, und er wollte gehört haben, daß seitdem vieles anders geworden sei. Wohl möglich! War ja seitdem auch mit

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