Der Rat der Zehn
HABE MIR WAS UEBERLEGT. WANN IST ES MORGEN IN DER BIBLIOTHEK AM BELEBTESTEN?
AM FRUEHEN NACHMITTAG.
EIN UHR?
JA.
GUT. GEH DA ETWAS FRUEHER HIN. BETRETE UNBEDINGT ZWISCHEN 12.59 UND EXAKT 1.00 DEN LINKEN FAHRSTUHL. VERSTANDEN?
JA. WARUM?
DER ZEITPUNKT IST ENTSCHEIDEND. DU WIRST MORGEN SEHEN, WARUM!
WIR SOLLTEN UNSERE UHREN VERGLEICHEN, NEHME ICH AN.
Pam versuchte zu witzeln, aber der Humor kam nur armselig über die Computerverbindung.
KEINE SCHLECHTE IDEE.
DU WIRST MIR DAS PULVER BRINGEN?
NUR WENN DU SICHER BIST, DASS DU EINE CHANCE HAST HERAUSZUFINDEN, WAS ES IST.
MIT EINEM DIPLOM IN CHEMIE HAETTE ICH EINE MENGE GELD VERGEUDET, WENN NICHT!
Totale Stille erfüllte die kleine Zelle, in der er saß, und Drew vermißte das Klicken der Terminals. Er wartete darauf, daß Pam etwas sagte, weil ihm selbst nichts mehr einfiel.
ICH LIEBE DICH, DREW.
ICH LIEBE DICH AUCH.
Die Stunden, die Pam am Sonntagmorgen an ihrem Arbeitsplatz verbrachte, wurden ihr zur Qual. Sie konnte sich in keiner Weise auf ihre Arbeit konzentrieren und mußte dennoch so tun als ob, um sicherzustellen, daß sie die beschattenden Männer nicht mißtrauisch wurden. Sie starrte geistesabwesend auf offene Bücher, blätterte Seiten um und schrieb in ausreichend regelmäßigen Abständen sinnlose Sätze nieder.
Schließlich wurde es 12 Uhr 30. Weniger als eine halbe Stunde noch, aber diese Minuten versprachen die quälendsten zu werden. Sie vergingen mit schrecklicher Langsamkeit, jede Sekunde auf ihrer Digitalarmbanduhr schien eine Minute zu brauchen. Endlich war es fünf vor eins. Die Instruktionen von Drew besagten ausdrücklich, daß sie den linken Fahrstuhl in fünf Minuten betreten sollte. Bald würde er ihr das mysteriöse weiße Pulver übergeben. Sie würden Zeit haben, miteinander zu sprechen.
Pam machte sich zu den Fahrstühlen auf.
Sie hatte die Zeit für den Weg heute morgen genau gestoppt. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Tu nichts, was sie mißtrauisch macht …
Sie drückte mit ihrer linken Hand auf den Abwärtsknopf. Ihre Büchertasche hielt sie fest in der Rechten.
Warte auf den linken Fahrstuhl.
Der Fahrstuhl rechts öffnete sich. Sie ignorierte ihn und tat so, als sei ihr die Büchertasche heruntergefallen. Sie bückte sich, um den Inhalt wieder einzusammeln, während sich die Fahrstuhltüren schlossen. Sich wieder aufrichtend, drückte sie noch mal den Abwärtsknopf und warf einen verstohlenen Blick auf ihre Uhr: 12 Uhr 59 und dreißig Sekunden.
O Gott, beeil dich!
Eine Glocke ertönte, und der Abwärtspfeil über dem linken Fahrstuhl blinkte auf. Die Tür glitt auf, und Pam stieg ein. Die Türen waren erst halb wieder geschlossen, als sie Drew sah. Er kauerte seitlich vom Eingang bei den Bedienungsknöpfen. Ein Finger lag über seinen Lippen:
Still. Der Fahrstuhl begann hinunterzufahren.
Plötzlich gab es ein Schleifen und Quietschen. Die Kabine kam rüttelnd zum Stehen und warf Pam gegen die Wand. Die Lichter gingen aus. Eine rote Lampe flammte auf und versorgte sie notdürftig mit Licht.
»Drew!« keuchte sie.
Er kam zu ihr und hielt sie fest. »Keine Angst«, flüsterte er. »Es ist alles in Ordnung. Das ist ein Ablenkungsmanöver.«
»Was?«
»Ich habe jemanden dafür bezahlt, den Strom genau um ein Uhr abzuschalten. Wir haben nur drei Minuten Zeit.«
Pam blickte Drew in dem dämmrigen roten Licht in die Augen und umarmte ihn fest.
»Ich habe so verdammt viel Angst.«
»Ich auch.« Er löste sich sanft von ihr. »Wir haben nicht viel Zeit.«
Drew trat zurück und griff in seine Tasche und zog eine dicke Plastiktüte mit feinem weißen Pulver heraus.
»Kokain«, murmelte Pam.
»Das sieht nur so aus. Es soll so aussehen. Tarnung. Kannst du heute abend ins Labor gehen?«
»Sicher. Ich habe einen Ausweis. Ich gehe oft abends hin.«
»Ausgezeichnet«, sagte er und quetschte die Tüte in ihre Büchertasche. »Paß auf, daß du nicht damit erwischt wirst«, fügte er mit einem Lächeln hinzu. »Es wäre vielleicht etwas mühsam, eine Erklärung dafür zu finden.«
Gegen ihren Willen lächelte Pam ebenfalls. »Gott, ich habe dich vermißt.«
»Es ist fast vorbei. Wenn wir erst einmal wissen, was das Pulver ist, müssen mir die Behörden zuhören, und zwar allem, was ich zu sagen habe. Es ist meine Versicherungspolice gegen …« Er schwieg abrupt.
»Gegen was?«
»Wir haben keine Zeit mehr.«
»Beantworte meine Frage.«
Drew seufzte. »Sie versuchten mich auch in Miami zu töten, als ich
Weitere Kostenlose Bücher