Der Rat der Zehn
Enthauptung führen. Aber sie hatte Glück.
Der Draht flog etwa fünf Sekunden lang, Zeit genug, um das Fernglas wieder vor die Augen zu halten und sich noch einmal das Gebäude anzusehen. Das winselnde Geräusch des abrollenden Drahts hörte genau in dem Moment auf, als sie ihr Ziel erblickte. Der Speer war problemlos durch den alten Stein gestoßen. In der Spitze verborgene Widerhaken schnellten heraus und sorgten für festen Halt.
Die Zugleine war damit plaziert.
Das Prinzip der Zugleine basierte auf Aerodynamik. Wenn man sich mit einem Karabinerhaken an dem Seil einklinkte, mußte man nur noch springen und rutschte dann hinunter. Es war natürlich wichtig, daß das Seil nicht in der Mitte durchhing. Dreißig Meter des Seils waren nicht abgespult worden. Ellie kappte den Rest und befestigte das Ende wieder im Baumstumpf. Bevor sie das tat, ließ sie ihre Ausrüstung hinuntergleiten, um das Kabel zu testen.
Perfekt. Fürs erste.
Dann stieg sie in ihre Kletterausrüstung, befestigte sie an der Taille und versicherte sich, daß alles gut saß. Sie hängte sich die beiden Packs und die Uzi um und klinkte den Karabinerhaken ein. Als sie aufstand, bebte das Kabel leicht unter ihrem Gewicht. Der Hang verlief etwa fünf Meter weit neunzig Grad abwärts. Ellie zog sich nach vorn und stellte sich auf die Zehenspitzen. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Ellie sprang.
Ein schrilles Quietschen des am Kabel entlanggleitenden Stahlhakens folgte ihrem Fall. Ellie schloß die Augen wegen der enormen Geschwindigkeit des Dahingleitens. Sie öffnete sie erst wieder, als sie das Durchhängen des Seils spürte und das Gefühl hatte, sie würde bergauf gleiten. Jetzt kam der schwierigste Teil, denn, wenn sie nicht ausreichend Schwung hatte, würde sie zur Mitte des Seiles zurückgleiten und das Ende nicht erreichen. Ellie zog die Knie hoch und benutzte ihren Körper wie ein Ruder. Es funktionierte hervorragend. Einige starke Schwünge ihres Körpers schoben sie an das Gebäude heran, wo sie einen guten Halt fand und sich hochzog.
Zutritt zum Schloß konnte sie nur durch eines der zahlreichen Fenster bekommen. Eigentlich eine falsche Bezeichnung, denn sie wurden gebaut, lange bevor es Glas gab. Deshalb waren die Fenster entweder mit hölzernen Flügeln oder Eisenstangen versehen. Sie hoffte, sie würde eins finden, das nach all den Jahren verwittert genug war, um einen einfachen Einstieg zu ermöglichen. Am vielversprechendsten sah ein Fenster mit stark vom Rost angefressenen Eisenstreben aus.
Ellie ging die nächste Aufgabe an. Sie balancierte sich vorsichtig über den Sims und suchte in einem der Packs nach dem Kletterseil. Sie arbeitete mit einem Arm und war so in der Lage, einen Knoten in das Seil zu machen.
Jetzt mußte sie am Fenstersims entlanggehen. Sie klinkte den Haken aus, der sie mit dem Kabel verband, bewegte sich zum äußersten Rand ihres Standortes und ließ sich dann langsam an der Mauer herab, wobei sie sich mit den Füßen abstützte. Das Seil schwang unter ihrem Gewicht hin und her, so daß sie einige Male beinahe die Balance verlor. Ellie hielt sich jedoch fest, und innerhalb von dreißig Sekunden fand sie mit ihren Füßen den Fenstersims. Die Eisenstreben, die ein Gitter über der Öffnung bildeten, waren so eingesetzt, daß sie sich gut halten konnte.
Ellie versuchte, die morschen Eisenstreben mit den Händen zu verbiegen. Sie gaben zwar leicht nach, aber nicht so stark, daß Ellie in der Lage gewesen wäre, sie mit der Hand herauszubrechen. Wieder glitt ihre Hand in den Pack. Dieses Mal zog sie einen Gegenstand hervor, der wie ein langer, dicker Federhalter aussah. In Wirklichkeit war es ein Stab, den man an einem Ende aktivieren konnte, um eine konzentrierte Säure ausströmen zu lassen, die alles zerstörte, womit sie in Berührung kam. Ellie schnippte die Schutzabdeckung ab und begann zu arbeiten.
Ein zischendes Geräusch mischte sich mit dem Geruch von schmelzendem Metall. Ellie kümmerte sich nur um die Enden der Stahlstäbe, die in der Schloßmauer eingelassen waren. Es gab vier davon an jeder Seite. Ellie entfernte sie nach und nach und legte sie auf den Sims neben sich für den Fall, daß irgendwo Ultraschall-Sicherheitssensoren installiert waren und nur auf ein unerklärliches Scheppern warteten. Sie mußte auf alles gefaßt sein. Es war immerhin der Rat der Zehn, mit dem sie es zu tun hatte.
Warum lebe ich dann noch?
Ellie hatte sich diese Frage immer wieder gestellt, aber sie wollte später
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