Der Rat der Zehn
sich selbst geschlungen, gegen die Wand gelehnt.
»Helft eurem Freund«, befahl Selinas den beiden anderen. Natürlich, den Anweisungen seines Arbeitgebers hätte es eher entsprochen, die Jungen zu töten. Sie hatten hier heute abend viel zuviel gesehen, aber solange das niemand sonst herausfand, konnte es keine Komplikationen geben. »Nehmt ihren Cadillac, um nach Hause zu kommen«, fuhr er fort. »Laßt ihn ein paar Meilen von eurer Wohngegend entfernt stehen. Ihr könnt den Spaziergang gut gebrauchen.« Einer von ihnen wollte etwas sagen. »Keine Fragen, bewegt euch!«
Sekunden später waren sie weg.
Selinas ging zu Marco hinüber und beugte sich über ihn. Marcos Augen waren glasig geworden, und der Schock hatte seine Zähne durch die Lippen getrieben. Die glasierte Kugel hatte seine Schulter ganz schön zugerichtet. Selinas konnte die Fasern gerissener Bänder, Knorpel und Muskeln, vermischt mit Blut, sehen. Marco spuckte nach ihm.
»Du hast uns hereingelegt, Mann …«
Selinas machte sich nicht die Mühe zu nicken. Vor einigen Tagen war er zu der Erkenntnis gekommen, daß es unmöglich sein würde, die Riveros zu finden. Also hatte er es darauf angelegt, sich von ihnen finden zu lassen, und sie hatten ausgezeichnet kooperiert.
»Worauf wartest du, Mann?« krächzte Marco. »Komm schon, erledige mich, und bringe es zu Ende!«
»Sag mir, wo die Koffer sind.«
Marco schnitt voller Schmerz eine Grimasse: »Du kriegst das Pulver und ich das Leben. Ist es das, Mann?«
Selinas Ausdruck war nichtssagend.
»Du hast meinen Bruder umgelegt. Ich muß dich dafür erwischen. Zum Teufel, Mann, ich brauche das Pulver sowieso nicht. Ich geb's dir, einfach, um meine Chance zu kriegen. Zweiter Raum unten. Die Wand an der rechten Seite des Fensters ist eine Attrappe. Ein kluger Mann wie du wird es sofort finden.« Marco sah auf die Kanone und hielt seine ruinierte Schulter mit der anderen Hand. »Du wirst tot sein, Mann«, spuckte er wütend aus. »Du wirst tot sein, sehr bald …«
»Du bist es schon.«
Und Selinas drückte über Marcos Gesicht den Abzug durch.
9
Sonntag wurde zum längsten Tag in Drew Jordans Leben. Sein zweckloser Telefonanruf in der Esplanade ließ ihm nur zwei Möglichkeiten. Die eine war, sich der Gnade der Polizei von Palm Beach auszuliefern, die zweite, schnell einen sicheren Hafen anzulaufen – das regionale DEA-Hauptquartier in Miami. Die erste Möglichkeit bot sich nur an, weil er schlimmstenfalls der Tötung aus Notwehr schuldig war. Aber die Erklärung der Umstände seiner Anwesenheit im Too-Jay's und der Besitz der Pistole versprachen zu Fragen zu führen, die er nicht beantworten konnte. Möglichkeit Nummer zwei war seine beste Karte. Die DEA war durch Masterson in die Sache verwickelt, unabhängig vom Schicksal des Agenten. Sie würden ihm helfen müssen herauszufinden, wer der Mörder war und wer ihn geschickt hatte.
Drew hatte keine Ahnung, ob die Polizei ihn suchte, also beschloß er, auf Nummer Sicher zu gehen. Unter den gegebenen Umständen war er nicht begeistert davon, ins Hyatt zurückzukehren, aber noch weniger gefiel es ihm, in seiner Kellnerkluft zu bleiben. Er brauchte Kleidung und Geld. Er konnte ins Hyatt und wieder gegangen sein, bevor die Nachricht vom Mord an Trelana das Fernsehen oder den Rundfunk erreicht hatte.
Aber wie nach Miami kommen? Ein Mietwagen schien der einfachste und sicherste Weg zu sein. Die Lösung war, sich schnell zu bewegen und in Bewegung zu bleiben. Er rief vom Münztelefon der Esplanade aus ein Taxi, und es beförderte ihn zum Hyatt, wo er schnell packte, seine Rechnung zahlte und den Hotelbus zu einer Mietwagenagentur am Flughafen nahm, mit überraschender Leichtigkeit fuhr er die Route 95 herunter in Richtung Miami, keine neunzig Minuten nachdem Blut und Hirn im Too-Jay's überall herumgespritzt waren.
Auf der Fahrt nach Miami hielt Drew strikt die vorgeschriebene Geschwindigkeit ein, um nicht die Aufmerksamkeit irgendeines mit Radar ausgestatteten Polizisten auf sich zu lenken. Er erreichte die Ausläufer der Stadt kurz nach vier Uhr und fuhr von der 95 auf der Biscayne-Boulevard-Abfahrt ab. Von dort aus lenkte er den Wagen zur Collins Avenue und fuhr sie von einem Ende bis zum anderen ab, um den Schutz, den der Wagen bot, nicht zu verlieren. Schließlich entschied er sich für ein Hotel am nördlichen Ende, das sich Ocean Palm nannte und sich auf seiner Markise über dem Eingang eines Swimming-pools mit Olympiaabmessungen rühmte. Er
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