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Der Rattenfänger

Der Rattenfänger

Titel: Der Rattenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James McGee
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mit einer stumpfen Gartenschere daran herumgeschnipselt. Hawkwood fiel auf, dass der Junge beim Gehen das linke Bein nachzog. Als hätte der junge Mann gespürt, dass er beobachtet wurde, hob er den Kopf, sah Hawkwood kurz mit leerem Ausdruck an und kehrte dann weiter. Die untere Gesichtshälfte war deformiert, als wäre der Kiefer ausgerenkt und wieder schief eingesetzt worden. Das ist wohl Mr. Knibbs’ Neffe, dachte Hawkwood.
    Beim Anblick der in die Arbeit vertieften Männer kam Hawkwood ein Gedanke und er fragte Isadore Knibbs, ob in letzter Zeit jemand entlassen worden sei. Es bestand immerhin die Möglichkeit, dass ein rachsüchtiger ehemaliger Angestellter etwas mit Woodburns Verschwinden zu tun haben könnte. Doch Isadore Knibbs verwarf diesen Gedanken sofort. Jeder Mitarbeiter – mit Ausnahme der Lehrlinge – arbeite seit mindestens zehn Jahren für Master Woodburn. Ihre Loyalität stehe außer Frage.
    Und keiner der Männer konnte sich Master Woodburns Verschwinden erklären.
    Dann fragte Hawkwood Mr. Knibbs, ob ihm eine Veränderung im Verhalten des Uhrmachermeisters aufgefallen sei.
    »Wollen Sie damit andeuten, der Master habe … habe sich etwas angetan?«, fragte der Geselle entsetzt.
    »Nein, Mr. Knibbs. Ich muss nur alle Eventualitäten in Betracht ziehen.«
    Als der Geselle ihn verständnislos ansah, seufzte Hawkwood. »Mr. Knibbs, ich weiß aus Erfahrung, dass es für das Verschwinden von Menschen eine Vielzahl von Gründen gibt. Es kommt vor, dass jemand sein bisheriges Leben einfach hinter sich lassen will, einen Unfall hat oder einem Gewaltverbrechen zum Opfer fällt. Was ich bisher über Mr.Woodburn von Ihnen und seinen Dienstboten erfahren habe, schließt wohl die erste Möglichkeit aus. Nichts deutet darauf hin, dass Ihr Master freiwillig verschwunden ist. Deshalb schließe ich einen Selbstmord aus. Ich will Sie nicht schockieren, Mr. Knibbs, aber es passiert ziemlich häufig, dass selbst vornehme Gentlemen wegen zehn Pfund Schulden oder einer billigen Hure den Freitod wählen.«
    Isadore Knibbs sah aus, als hätte er gerade saure Milch getrunken.
    »Damit wären wir bei einer ziemlich unangenehmen Vorstellung, Mr. Knibbs.«
    »Aber irgendjemand muss doch was gesehen haben!«, platzte der Geselle heraus. »Der Master hat sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst!«
    Hawkwood wollte Isadore Knibbs gerade darüber unterrichten, dass ständig Menschen verschwänden und irgendwann mit einem Messer im Rücken in einer dunklen Gasse oder mit aufgeblähtem Leib im Uferschlamm wieder auftauchten, als er von einer nervös stotternden Stimme in seinem Rücken daran gehindert wurde. »Ich … ha … habe den Master ge … gesehen.«
    Hawkwood und Isadore Knibbs drehten sich gleichzeitig um. Sichtlich ungehalten sagte der Geselle: »Jacob, was Officer Hawkwood und ich zu besprechen haben, geht dich nichts an.« Entschuldigend fügte der alte Mann hinzu: »Er ist der Sohn meiner Schwester. Er hat es nicht böse gemeint.« Dann klatschte Mr. Knibbs in die Hände. »Na los Junge. Fort mit dir! Es gibt Arbeit für dich.«
    Aus der Nähe betrachtet, ähnelte Quigley mit seinem eckigen Körper, dem widerspenstigen Haarschopf und seinem deformierten Fuß einer Gespenstheuschrecke. Sein Kinn war schief, weil die unteren Schneidezähne wie krumme gelbe Hauer aus seinem Kiefer ragten. Es war schwierig, Quigleys Alter zu schätzen, irgendwo zwischen fünfzehn und zwanzig. Was darauf schließen ließ, dass Isadore Knibbs mindestens zwanzig Jahre älter als seine Schwester war.
    »Na los, Jacob!«, wiederholte Knibbs und drohte mit dem Zeigefinger. »Ich sag’s nicht noch einmal. Mach dich wieder an die Arbeit. Sei ein braver Junge.«
    »Aber ich ha … habe ihn gesehen, Onkel Izzi. Ich ha … habe Master Woodburn gesehen«, stammelte der Junge und umklammerte den Besenstiel fester. Er hatte völlig abgekaute Fingernägel.
    Isadore Knibbs tätschelte den Arm seines Neffen. »Stimmt, Jacob. Du hast den Master gesehen. Aber belästige jetzt Mr. Hawkwood nicht weiter. Er hat Wichtigeres zu tun. Bitte, entschuldigen Sie, Mr. Hawkwood. Achten Sie einfach nicht auf ihn. Er ist ein guter Junge, nur manchmal etwas verwirrt. Meine Schwester hat ihn erst spät bekommen«, fügte er hinzu, als wäre das eine ausreichende Erklärung für Quigleys Behinderung.
    »Ich ha … hab’s dem anderen Gentleman gesagt und dafür einen P … Penny bekommen.« Die leeren Augen des Jungen leuchteten kurz vor Aufregung.
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