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Der Rattenfänger

Der Rattenfänger

Titel: Der Rattenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James McGee
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nicht unbedingt hieß, dass der alte Mann allein gewesen war, sondern nur, dass der Junge außer ihm niemanden gesehen hatte. »Beschreib mir die Kutsche Jacob. Wie hat sie ausgesehen?«
    Da leuchteten die Augen des Jungen auf. »Eine elegante Kutsche war es. Von zwei großen schwarzen Pferden gezogen. Schön waren die. Ihr Fell hat geglänzt und so.«
    Damit kann ich wenig anfangen, dachte Hawkwood verzweifelt. Diese Beschreibung passt auf die meisten Kaleschen in London.
    »Da war auch noch ein Drache«, fügte Jacob Quigley leise, beinahe ehrfürchtig hinzu.
    Hawkwood glaubte, sich verhört zu haben. »Ein Drache?«, wiederholte er und sah Isadore Knibbs um Unterstützung heischend an. Er erntete jedoch nur einen verständnislosen Blick.
    »Was für ein Drache, Jacob?«
    »So einer, wie ich ihn dem anderen Gentleman gezeigt habe.«
    Damit meint er wohl Warlock, dachte Hawkwood. »Was hast du ihm gezeigt, Jacob?«
    »Den Drachen.«
    »Was für einen Drachen?«, wiederholte Hawkwood die Frage möglichst ruhig, obwohl er den Jungen am liebsten an den Schultern gepackt und heftig geschüttelt hätte.
    »Es war derselbe wie der andere.«
    »Der andere?«
    »Der andere Drache, natürlich!«
    Hawkwood wollte am liebsten frustriert aufschreien. Es kam ihm vor, als müsste er dem Jungen die Zähne einzeln ziehen.
    Er war völlig unvorbereitet auf das, was als Nächstes geschah. Jacob Quigley warf den Besen beiseite, stürzte auf Hawkwood zu und packte ihn am Handgelenk.
    »Jacob!«, rief der alte Mann vor Schreck so laut, dass die Arbeiter aufblickten und mit offenem Mund das Geschehen verfolgten.
    Normalerweise hätte Hawkwood diesen Angriff sofort mit einem Abwehrschlag gekontert, doch ein sechster Sinn versicherte ihm, dass Jacob Quigley nicht in böser Absicht handelte, sondern nur Aufmerksamkeit erregen wollte. Der Junge ist ebenso frustriert wie ich, wurde Hawkwood klar. Er will mir etwas Wichtiges mitteilen, aber was?
    Hawkwood war erstaunt, wie viel Kraft der Junge hatte. Es hätte ihn einige Mühe gekostet, sich aus diesem Griff zu befreien. Völlig perplex ließ er sich durch die Werkstatt ziehen. Isadore Knibbs fasste sich schnell und folgte den beiden.
    Schwer atmend zog Jakob den deformierten Fuß hinter sich her und zerrte Hawkwood durch einen Türbogen in ein Lager. In Regalen und auf dem Boden lagen und standen Zeitmesser in jeder nur erdenklichen Gestalt und Größe: Laternen-Uhren, Standuhren, Wirtshaus-Uhren, Wasseruhren, Wanduhren und Barometer.
    Dann blieb Jacob Quigley abrupt stehen, drehte sich um und deutete aufgeregt zu den Wanduhren.
    »Was willst du mir damit sagen, Jacob?«, fragte Hawkwood ratlos. Und auch Isadore Knibbs schüttelte nur den Kopf und warf die Hände hilflos nach oben.
    Jacob Quigley zerrte Hawkwood vor eine der Uhren und deutete wieder darauf.
    Die Standuhr war etwa zweieinhalb Meter hoch, das Eichengehäuse mit Mahagoni- und Muschelintarsien verziert. Arabische Ziffern und zwei kunstvoll geschmiedete Messingzeiger schmückten das dreißig Zentimeter breite, weiße Ziffernblatt. Ein Exemplar vollendeter Handwerkskunst.
    »Ist es die Zeit, die du mir zeigen willst, Jacob?«
    Die Zeiger standen auf Viertel vor sechs.
    »Hast du Master Woodburn um Viertel vor sechs gesehen?«
    Der Junge schüttelte den Kopf, ließ Hawkwoods Handgelenk los und humpelte zur Uhr. Dort streckte er den Arm hoch, deutete auf das Gehäuse und sagte: »Drachen! Sehen Sie den Drachen?«
    Da fiel es Hawkwood wie Schuppen von den Augen. Er fluchte stumm über seine Dummheit, weil er so begriffsstutzig gewesen war. Nicht die Zeit hatte Jacob ihm zeigen wollen, sondern die Gravur auf dem Gehäuse. Ein Wappen, an einer Seite von einem Bär und an der anderen von einem Drachen umrahmt. Auf dem Familienwappen waren noch ein Schiff, zwei gekreuzte Schwerter und ein kunstvolles Blattmotiv dargestellt. Irgendwie kam Hawkwood dieses Wappen bekannt vor.
    Jacob Quigley beobachtete grinsend, wie Hawkwood allmählich ein Licht aufging.
    »Jetzt verstehe ich, Jacob«, sagte Hawkwood. »Und dieses Wappen hast du auch dem anderen Gentleman gezeigt?«
    Der Junge nickte. »Das war an der Tür.«
    »An der Tür der Kutsche?«
    Wieder nickte Jacob heftig.
    Halleluja!, dachte Hawkwood und sagte: »Gut gemacht, Jacob. Du hast dir deinen Penny verdient.« Er drückte ihm die Münze in die Hand. »Mr. Knibbs, erzählen Sie mir etwas über diese Uhr.«
    »Die da? Ähm … das ist ein acht Tage …«
    »Das verdammte Uhrwerk

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