Der Rattenzauber
Hämmern. In einem Vulkan erhitzte er ihre Körper zur Weißglut, dann schmiedete er sie zusammen und schaffte so gräßliche Spottgeburten mit zahllosen Armen, Beinen und Köpfen, während ihre Seelen am Leben blieben und die Schmerzen bis ans Ende aller Tage ertragen mußten.
Jede der Schriften wußte von eigenen, höllischen Qualen zu berichten, von Schmerzen jenseits des Todes, von Folter in den Krallen hämischer Bestien.
Beinahe gegen meinen Willen zogen mich die Schilderungen tiefer und tiefer in dieses Reich der Schreie und der Furcht, ich verbrachte den Rest des Nachmittages mit der Lektüre, angewidert, doch zugleich berauscht von ihrer peinvollen Pracht.
So nahm es kaum wunder, daß ich, als ich einschlief, selbst hinabstieg und mutig die Klüfte des Teufels durchschritt, wie einer, dem kein Schrecken zu groß, kein Grauen zu gewaltig ist. Ich sah mich selbst, ganz nackt, ganz schutzlos, in Tälern aus feurigem Stein, auf Bergkämmen, die in Wahrheit die Rücken von Drachen waren. Ich zwängte mich durch Zähne, hoch und spitz wie Tannenbäume, und schwamm durch geschmolzenes Eisen, als wäre es Wasser. Auf einem glühenden Rost wurde ich angekettet, später von zahllosen Nägeln durchbohrt. Man kippte Salz in meine Wunden, riß mir Zähne und Haare aus. Ein Dämon fraß meine Augen, ein anderer Zunge und Herz. Sie schälten meine Haut vom Leib, schabten das Fleisch von den Knochen. Die Reste wurden zu Pulver zerstoßen, mit meinem Blut vermengt und einer höllischen Hure eingeflößt. Sie gebar mich wie ein Kind, und alle Qual begann von neuem.
So mochte es zehn- oder zwanzigmal gegangen sein, als der Traum eine neue Richtung nahm. Auf einem hohen, spitzen Felsen über einem See aus Pech sah ich in der Ferne eine Gestalt, verschwommen in der flirrenden Hitze. Sie war kaum mehr als ein weißer Strich vor roter Wolkenglut. Zu Fuß vermochte ich sie nicht zu erreichen, so ließ ich Lederschwingen aus meinem Rücken bersten, die mich geschwind über den See in ihre Richtung trugen.
Als ich näher kam, enthüllten die Flammen ihr Gesicht.
Es war meine Schwester. Die schöne, tote Juliane. Sie lachte mir entgegen, betörend und gräßlich zugleich.
Sie trug die schneeweiße Tracht einer Nonne.
Da fingen meine Schwingen Feuer, ich taumelte, stürzte und verbrannte im Pech zu fettiger Asche.
ZWEITER TEIL
Der Rattenkönig
KAPITEL 4
Ein unirdisches Gefühl von Trägheit lag über dem Land, als ich am Morgen die steinerne Brücke zum Westufer der Weser betrat. Der Regen fiel noch immer in dichten, grauen Schleiern, doch der stechende Nordwind, der seit Tagen durch die Gassen gepfiffen war, hatte sich gelegt. Statt seiner schien nun eine Glocke über der Gegend zu liegen, ein Anschein von Wärme, der diese Beschreibung allerdings nur im Vergleich zur schneidenden Kühle der Vortage verdiente. Gemeinsam mit der allgegenwärtigen Nässe verlieh er der Stadt und dem Umland ein fremdartiges Gefühl der Abgeschlossenheit. Geräusche klangen anders als zuvor, als sei jeglicher Nachhall aus dieser Gegend verbannt. Alle Bewegungen wirkten träger und schienen mir kraftraubender als üblich. Es war, als hätte man Hameln mit einem göttlichen Handgriff aus dem Diesseits entfernt und wie einen jungen Baum an einen fremden, merkwürdigen Ort verpflanzt.
Die Brücke war aus mächtigen Steinblöcken errichtet worden, was einiges über ihre Bedeutung für die Stadt und die Häufigkeit ihrer Benutzung verriet. Hätten nicht laufend Händler aus allen Teilen des Landes an dieser Stelle den Fluß überquert, so hätte man sicher mit einer Holzbrücke vorliebgenommen; da dies aber der einzige Übergang weit und breit war und den Stadtvätern hohe Zölle einbrachte, hatte man sie gleich aus beständigem Stein erbaut.
Sie führte, wohl aus Gründen der Festigkeit, über den Südzipfel der schmalen Flußinsel hinweg und endete an einem breiten Wiesenstreifen. Dahinter erhob sich ein bewaldeter Steilhang, die Flanke eines massigen Berges. Der Friedhof, den von Wetterau erwähnt hatte, lag unter dem rotgoldenen Herbstdach der Bäume verborgen. Wer immer ihn einst angelegt hatte, mußte seltsame Gründe gehabt haben, die Gräber in den Berghang hineinzutreiben.
Eine alte Heerstraße führte von der Brücke aus in scharfem Schwung nach links und verschwand irgendwo im Süden hinter den Bäumen. Ich verließ sie bereits nach wenigen Schritten und folgte einem schmalen Pfad den Hang hinauf zum Waldrand. Laubbäume und Fichten
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