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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Und falls es so ist, woran ich wie Ihr kaum zweifle, wird der Herzog davon erfahren. Dann Gnade ihnen Gott!«
    Von Wetterau schüttelte den Kopf. »Nicht einmal Herzog Heinrich besitzt die Macht, sich über die päpstlichen Regeln hinwegzusetzen.«
    »Wir werden sehen«, entgegnete ich. »Sagt, ist es wahr, daß der Herzog bald nach Hameln kommt?«
    »Allerdings, ebenso wie Bischof Volkwin. Sie wurden geladen, Zeugen des großen Mysteriums zu werden.«
    Einen Augenblick lang schien es, als wollte er noch etwas hinzufügen, doch dann verstummte er. Wenn es etwas gab, das er hatte sagen wollen, so behielt er es nun lieber für sich.
    Wir speisten noch bis zum späten Nachmittag und sprachen über dieses und jenes, das keiner Erwähnung wert ist. Allein eine Bemerkung des Probstes blieb mir deutlich im Gedächtnis. Wir kamen aus einem Anlaß, der mir entfallen ist, auf die Großzügigkeit der Hamelner Händler gegenüber der Kirche zu sprechen. Da sagte von Wetterau: »Viele reiche Kaufleute verspüren irgendwann die Angst, wegen ihrer Habgier der Verdammnis anheimzufallen. Deshalb entschließen sie sich, alle weltlichen Reichtümer aufzugeben und ihr Leben allein ihrem Schöpfer zu widmen. Sie machen großzügige Schenkungen, lassen Messen lesen, ja, gehen sogar ins Kloster und vermachen uns ihren Besitz. Doch ist es deshalb ungerecht, wenn der Klerus über alle Mittel verfügt, die Armen aber über keine? Nirgendwo ist der Unterschied größer als hier in Hameln, und die Vorwürfe sind zahlreich. Doch bedenkt auch, was der Schenkende für seine schnöden Schätze erhält – die Gnade Gottes, manchmal gar die Heiligsprechung. Und nun sagt mir: Kann es ein größeres Glück auf Erden geben?«
    ***
    Der Geruch von Schweiß und schalem Bier schlug mir entgegen, als ich die Herberge betrat. Ich ging durch die Vordertür, doch obgleich mich manch böser Blick aus haßerfüllten Augen traf, so wagte doch niemand, die Hand gegen mich zu erheben. Der Befehl des Vogts tat seine Wirkung.
    Ich hatte gerade die Treppe erklommen, als Maria vor mir aus den Schatten huschte, mich umarmte und mir mit gespitzten Lippen einen Kuß gab. Erst war ich so entsetzt ob ihrer neuen Annährung, daß ich den unsittlichen Angriff geschehen ließ, dann aber schüttelte ich sie ab wie einen bettelnden Straßenköter. Der plötzliche Ruck ließ sie zurücktaumeln und heftig schlucken. Ihr Gesicht wurde kalkweiß, sie schlug beide Hände vor den Magen und krümmte sich, als müsse sie ihre letzte Mahlzeit wieder von sich geben. Verzweifelt schnappte sie nach Luft, was sie nur noch heftiger würgen ließ.
    Schon befürchtete ich, mein Stoß sei zu heftig gewesen und hätte sie verletzt. Geschwind sprang ich vorwärts und packte sie an den Schultern.
    »Verzeih«, stammelte ich hilflos und von Reue ergriffen, als sie sich plötzlich noch weiter vornüberbeugte und unter heftigem Husten etwas vor meine Füße spie.
    Es war ein Stück Brot, nichts weiter. Doch warum, so fragte ich mich, aß sie Brot, während sie mich küßte?
    Da dämmerte mir die Antwort, und beinahe hätte ich lauthals aufgelacht. Das Brot war eine Hostie, aufgespart von der morgendlichen Eucharistie, und ihr Kuß ein weiterer Versuch, mich magisch zu betören.
    »Noch ein Liebeszauber?« fragte ich streng, während Maria sich unter meinen Blicken wand wie eine Schlange.
    Sie nickte beschämt, ohne mich anzusehen. »Ein Freund hat ihn mir verraten, Herr. Küß’ ihn mit dem Leib des Erlösers zwischen den Lippen, hat er gesagt.«
    »So sag deinem Freund, er möge sich seine Ratschläge für einen anderen Reisenden aufheben, für einen Burschen, der die Muße hat, deinen Reizen die gebührende Achtung zu zollen.«
    Sie streifte mich mit einem verstohlenen Blick aus großen Augen. »Gefalle ich Euch so wenig, mein edler Herr?« fragte sie kleinlaut.
    Nun tat sie mir beinahe leid. »Du bist wunderschön, Maria, das sieht jeder auf den ersten Blick. Doch ich bin ein Ritter des Herzogs, und allein ihm zur Treue verpflichtet. Mein Handwerk ist der Kampf, nicht die Liebe.« Sogar in meinen eigenen Ohren klangen diese Worte aufgeblasen und schal.
    »Ich könnte Euch die Liebe lernen, Herr.«
    »Lehren«, verbesserte ich.
    Sie musterte mich überrascht. »Was meint Ihr?«
    »Es heißt: Die Liebe lehren, nicht lernen.« War ich vielleicht eben dabei, einen Narren aus mir zu machen?
    »Lehren«, wiederholte sie gehorsam. »Wollt Ihr das, Herr?«
    Ich schüttelte den Kopf, halb abgestoßen,

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