Der Rattenzauber
dieses Ziel mit aller Macht, die ihm im Namen von Kreuz und Schwert verliehen wurde. Er selbst wird am letzten Tag der Spiele die Rolle des Gottessohnes übernehmen und sich ans Kreuz binden lassen. Gleichzeitig wird ihn ein Gesandter des Papstes segnen, um den Bund mit dem Heiligen Stuhl zu besiegeln – so lautet die Abmachung.« Sie lachte schrill auf. »Und dieser Mann wirft uns vor, in gläubigem Wahn zu handeln!«
Ich muß gestehen, daß ihre Worte mich verwirrten. Was sie sagte, paßte auf eigentümliche Weise in jenes Bild, das ich selbst mir von Gunthar von Wetterau gemacht hatte. Seine Besessenheit von den Kreuzzügen, seine bizarre Reliquien-Sammlung, Dinge, die seine seltsame Frömmigkeit belegten. Aber was sollte das Gerede von einer Heiligsprechung? Von einem Pakt mit dem ehrwürdigen Papst?
»Woher weißt du all diese Dinge?« fragte ich.
Liutbirg lachte wieder, doch diesmal klang es verächtlich, beinahe schmerzvoll. »Davon hat er dir nichts erzählt? Ja, er redet nur von seinem Haß, verschweigt alles andere.«
Ich musterte sie zweifelnd. »Was verschweigt er?«
Einen Herzschlag lang schien es, als würde eine unsagbare Traurigkeit sie überwältigen. Dunkel waren ihre Augen. Dann, von einem Augenblick zum nächsten, erlangte sie ihre Beherrschung zurück.
»Gunthar von Wetterau ist mein Bruder«, sagte sie leise.
Fassungslos starrte ich sie an. Dieses Weib – fett, schmutzig, im Gewand einer Dirne – war die Schwester eines Kreuzritters? Des ehrwürdigen Probstes zu Hameln?
Ehe ich etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: »Du glaubst, daß ich lüge? Daß ich all dies erfinde, um dich von unserer Unschuld zu überzeugen?« Sie straffte ihren schweren Körper, ein eisiger Hauch schien ihre Züge einzufrieren, und plötzlich lag um ihre Erscheinung in der Tat etwas wie die Aura einer Priesterin. »So höre denn, was ich zu sagen habe, Ritter Robert von Thalstein. Selbst wenn wir für den Tod der Kinder verantwortlich wären, könntest weder du noch der Herzog, noch die Kirche uns auf diesem Friedhof etwas anhaben. Bevor es aber soweit ist, sollst du noch einmal erfahren, daß wir nichts über diese Jungen und Mädchen wissen. Hüte dich, uns allein aufgrund der Worte meines Bruders zu verurteilen. Wenn du wirklich von unserer Schuld überzeugt bist, so beweise sie.« Mit einem Ruck wandte sie sich ab und ging zur Treppe.
»Das ist alles, was ich zu sagen habe.«
Ich rief ihren Namen, doch sie drehte sich nicht um. Statt dessen stieg sie die Stufen hinunter und ließ mich einfach stehen. Ich folgte ihr eilig, doch als ich sie am Fuß der Treppe einholte, wußte ich nicht, was ich noch hätte sagen können. Ich gestand mir schweigend ein, daß ich nicht für Aufträge wie diesen geschaffen war. Die Ehre meines Herzogs mit dem Schwert zu verteidigen, ja, das vermochte ich sehr wohl; doch Schuld und Unschuld in einem Fall wie diesem abzuwägen überstieg meine Kraft und Erfahrung. Zum ersten Mal fragte ich mich, warum der Herzog gerade mich auf diese Mission entsandt hatte. Warum keinen älteren, bewährten Recken? Die Antwort blieb ich mir schuldig.
Schweigend stiegen wir durch den Wald hinab zur Lichtung. Mir brannte die Frage auf den Lippen, wie es zum Zwist zwischen ihr und dem Probst gekommen war. Allerdings: Genügte nicht ein Blick auf ihre Erscheinung, um die Lösung dieses Rätsels zu erkennen? Oder war auch das wieder ein vorschnelles, allzu leicht gefaßtes Urteil?
Zu meinem Erstaunen hatte sich die Menge auf der Lichtung zerstreut. Einige Frauen legten am Fuß der jungen Esche Körbe mit Obst und Gemüse ab. Aus dem Eingang einer Gruft drang der wohlige Duft frischgebackenen Brotes herauf; offenbar hatten die Wodan-Jünger dort unten eine Backstube eingerichtet. Gefahr und Bedrohung, die bei meiner Ankunft im Lager fast greifbar gewesen waren, schienen auf einmal verschwunden.
Ein junges Mädchen lief auf mich zu und überreichte mir meinen Dolch. Dann hielt sie mir aufgeregt einen Tonkrug entgegen. »Trink, mein Ritter«, bat sie.
Ich blickte zu Liutbirg. »Wollt ihr mich vergiften?«
Sie schüttelte betrübt den Kopf. »Glaubst du das wirklich?«
Bereits ihren Bruder hatte ich zu Unrecht verdächtigt, mir Gift in Speise und Trank zu mischen. Nun auch sie? So schmählich und blasphemisch das Treiben der Wodan-Jünger sein mochte, so friedfertig schienen sie doch zu sein. Gewiß, Dante hatte mich gewarnt. Doch waren die Männer, die ihn bedroht hatten, nicht reich gekleidet
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