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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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zur Ruhe, um das Mädchen nicht von neuem zu erschrecken. »Schon gut«, sagte ich sanft. »Es ist nicht wichtig. Vielleicht habe ich ihn verbrannt. Oder fortgeworfen.«
    Hollbeck, der das Zimmer für einen Moment verlassen hatte, trat wieder ein. Er betrachtete mich ernst. »Ihr seid ein Dummkopf«, sagte er.
    »Vater Johannes!« entfuhr es Maria erschrocken.
    Ich griff besänftigend nach ihrer Hand. »Laß ihn, er hat recht.«
    Aus den Augen des Alten sprach blanker Zorn. »Ihr solltet Euch nicht an Dingen versuchen, die Ihr nicht versteht, Ritter. Ihr seid kein Geistlicher, mögt Ihr auch eine Tonsur tragen. Nicht einmal ich selbst würde mich an eine Austreibung wagen. Nicht einmal ich«, wiederholte er lauter.
    Ich bemühte mich, zu lächeln. Es schien zu einer Grimasse des Schmerzes zu geraten, denn Maria packte meine Hand fester. »Das glaube ich Euch nicht«, sagte ich. »Wollt Ihr mir wirklich erzählen, Ihr habt Euch nie an Teufelsspuk versucht, Vater Johannes?«
    Er tat meine Worte mit einem Kopfschütteln ab. »Und wenn, wäre es nun nicht von Bedeutung.«
    Ich sah ihn fest an. »Ich muß den Dämon in meinem Inneren bezwingen, Vater.«
    »Euer Dämon ist nicht mit den Mitteln der Kirche zu bekämpfen«, entgegnete er vage, griff dann in seine Kutte und zog ein Fläschchen hervor. »Ich werde Eure Wunde hiermit bestreichen. Danach wird der Schmerz nachlassen, doch es kann lange dauern, bis sie verheilt. Ihr werdet eine Narbe zurückbehalten.«
    Ich wußte, warum er dies erwähnte: Die Narbe würde die Form eines Kreuzes haben.
    »Ihr solltet Hameln verlassen«, fügte er hinzu. »Eure Verletzung macht die Aufgabe, die Ihr Euch gestellt habt, nicht leichter. Man flüstert in den Gassen über Euch.«
    »Unmöglich«, erwiderte ich. »Der Herzog kommt in wenigen Tagen hierher. Es ist meine Pflicht, seine Mission zu erfüllen.«
    »Weshalb überlaßt Ihr das nicht seinem Statthalter, dem Graf von Schwalenberg?«
    »Wollt Ihr mich verhöhnen, Vater? Schwalenberg ist ein Narr. Ich bin sicher, das wißt Ihr selbst.«
    Statt einer Antwort sagte er: »Wie Ihr wünscht, edler Ritter. Ich an Eurer Stelle würde über diese Entscheidung nachdenken.«
    »Wollt nun auch Ihr mir drohen, wie all die anderen?« fuhr ich auf.
    Er schüttelte betrübt den Kopf. »Wenn Ihr das wirklich glaubt, so seid Ihr tatsächlich der Falsche für Eure Aufgabe. Denkt nach, bevor Ihr redet, Ritter. Vielleicht wird vieles Euch dann leichter fallen.«
    Er beschämte mich. Eben erst hatte er mir das Leben gerettet. Vielleicht hatte er recht.
    »Was habt Ihr gemeint, als Ihr sagtet, den Dämon in mir könne man nicht mit den Mitteln der Kirche bezwingen?« fragte ich.
    »Ihr seid nicht vom Teufel besessen.«
    »Was macht Euch da so sicher?«
    Er lachte leise. »Ich habe Menschen gesehen, die unter den Bann der höllischen Mächte gerieten, Verhexte, Verteufelte, Verfluchte. Doch glaubt mir, wenn es etwas in Eurem Inneren gibt, das Euch quält, so ist es keine überirdische Macht.«
    »Was wollt Ihr damit sagen?«
    Er öffnete die kleine Flasche und strich eine klare Flüssigkeit auf meine Wunde. Sie kühlte ein wenig, doch der Schmerz blieb. »Ich fürchte, daß Ihr krank seid, Ritter. Vielleicht ernster, als Ihr glaubt.«
    »Ihr glaubt … krank im Geiste?« fragte ich matt.
    Maria ließ meine Hand los und trat einen Schritt zurück, als hätte sie Angst, sich anzustecken.
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte der Alte. Es klang ehrlich.
    Bilder traten vor meine Augen, Szenen aus meinen Träumen und aus der Wirklichkeit. Und immer wieder die Leiche des Baumeisters. Das Blut an meinen Händen.
    Ich schwieg. Was hätte ich auch sagen können?
    Maria warf mir ein letztes scheues Lächeln zu, dann verließ sie die Kammer. Ich hörte, wie ihre Schritte vor der Tür verhielten. Sie wartete auf den Alten.
    »Wenn Ihr wollt, könnt Ihr nun ein wenig schlafen«, sagte Hollbeck.
    Ich schüttelte langsam den Kopf. »Wie könnte ich schlafen, nach dem, was Ihr mir gesagt habt. Wann kann ich aufstehen?«
    »Wann Ihr mögt«, erwiderte er beinahe gleichgültig. »Ihr müßt selbst am besten wissen, was gut für Euch ist. Wenn Ihr den Schmerz ertragt, steht auf. Oder ruht aus, bis es Euch besser geht. Ich bin nicht hier, Euch Vorschriften zu machen.«
    Er wollte gehen, doch ich hielt ihn zurück. »Wann, glaubt Ihr, werde ich wieder gesund sein – wirklich gesund?«
    Der Alte sah mich an. Der Blick seiner Augen wirkte müde. »Wenn ich wüßte, wie krank Ihr

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