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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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nicht aussah, als hätten Zähne sie geschlagen. Ihre Ränder waren schwarz und schorfig. Sie hatte die Form eines Kruzifix. Der Schmerz wurde jetzt unerträglich.
    Ich schrie auf, und wieder klatschte mir eine Hand ins Gesicht, noch einmal, bis meine Schreie verstummten. Irrsinnig vor Pein, wohl aber schweigend, blickte ich in ein Gesicht, das sich über mich beugte. Dahinter befand sich ein zweites, verschwommen wie durch Nebelschleier. Niemand sprach.
    Das hintere Gesicht, soviel erkannte ich nun, gehörte Maria. Sorge floß wie Tränen aus ihren herrlichen Augen. Und dann setzten sich auch die Teile der anderen Gestalt vor meinem Auge zusammen.
    »Er wird leben«, sagte Hollbeck, obgleich mir nicht klar war, ob er mit mir oder Maria sprach. Die Züge des alten Einsiedlers schienen aus solcher Nähe betrachtet noch faltiger, ein Irrgarten aus zerklüfteten Graten und Schluchten. Wieder erstaunten mich seine weißen Zähne – als gäbe es nichts Wichtigeres.
    Ich wollte sprechen, doch meine Kiefer gehorchten mir nicht. Sie lösten sich kein Haarbreit voneinander.
    Die kreuzförmige Wunde auf meiner Brust schien in Flammen zu stehen. Ich begriff, daß dies der Wahrheit äußerst nahe kam. Da war Feuer in meiner Erinnerung, Feuer auf meiner Brust. Ich selbst hatte es entzündet.
    Der Alte sagte noch etwas, doch ich hörte die Worte kaum. Statt dessen drang etwas anderes an meine Ohren. Ein leiser, rhythmischer Laut. Das Ticken des Bronzeschädels. Ich versuchte vergeblich, den Kopf in seine Richtung zu drehen. Erneut verlor ich das Bewußtsein, doch war mir, als begleiteten mich die Geräusche des Schädels auf meiner Reise durch die Dunkelheit.
    Als ich erneut erwachte, hatte sich wenig an dem Bild geändert, das sich meinen müden Augen bot. Der Einsiedler blickte noch immer mit zerfurchter Stirn auf mich herab, Maria stand hinter ihm. Wahrscheinlich war ich nur für wenige Herzschläge ohne Besinnung gewesen.
    »Sorge dafür, daß er wach bleibt«, sagte Hollbeck zu Maria. Er selbst wandte sich ab und verschwand, während das Mädchen seine Stelle einnahm. Sanft glitt ihre Hand über meine Stirn.
    »Was habt Ihr nur getan, mein Ritter?« fragte sie leise.
    Ich öffnete stockend den Mund. Diesmal gelang es mir, Worte zu formen. »Sag du es mir«, flüsterte ich schwach.
    Sie schüttelte den Kopf. »Später.«
    »Nein«, brachte ich krächzend hervor, »bitte!«
    Maria zögerte noch einen Moment, dann gab sie nach. »Wir fanden Euch am Boden, ohne Eure Kleidung.« Hierbei senkte sie schamvoll den Blick – als ob meine Nacktheit in dieser Lage von Bedeutung wäre.
    »Ihr hattet das Kruzifix, das einst an der Wand hing, auf Eure Brust gelegt und angezündet. Dabei schriet Ihr die Verse eines langen Gebetes, das ich nie zuvor gehört hatte. In der Wasserschale brannte Weihrauch, und um Euch herum am Boden hattet ihr mit verschiedenen Pulvern Zeichen geformt. Runenzauber.«
    Ich erinnerte mich wieder. Allerdings hatten die Zeichen mit Runen nichts gemein; vielmehr waren es Buchstaben aus dem Hebräischen. Das Gebet freilich konnte Maria in der Tat nicht kennen. Nur der Teufelsaustreiber weiß um seine wahre Macht.
    »Bin ich schwer verletzt?« fragte ich stockend.
    Sie schüttelte den Kopf. »Vater Johannes sagt, er sei gerade noch rechtzeitig hergekommen. Er weiß, was Ihr vorhattet. Nachdem wir Euch fanden, bin ich gleich hoch zum Wald geritten und habe ihn gerufen. Ohne ihn wärt Ihr wohl tot.«
    »Du kennst ihn gut?«
    »O ja. Er hat uns schon oft bei Krankheiten beigestanden. Er kennt gute Mittel gegen alles.«
    »War er es, der dir die Liebeszauber verriet?«
    Maria sah beschämt zu Boden. »Ja, Herr. Aber Ihr müßt mir glauben, mit jenem Beutel, von dem Ihr spracht, habe ich nichts zu tun.«
    Ich nickte, denn ich zweifelte nicht mehr an ihren Worten. »Hast du den Beutel gesehen?«
    »Nein, Herr. Wo ist er?«
    Ich wies zum Tisch. »Er muß noch dort liegen.«
    Maria blickte hinüber und musterte mich dann zweifelnd. »Dort liegt nichts, mein Herr. Nur der Kopf aus Eisen. Er gefällt mir nicht, er ist so –«
    »Er ist fort?« fiel ich ihr erregt ins Wort. Mühsam hob ich den Oberkörper und schaute gleichfalls zum Tisch. Maria hatte recht, dort war nichts außer Schüssel und Schädel. Der Beutel und sein abscheulicher Inhalt waren verschwunden.
    »Hat ihn jemand genommen?« fragte ich erregt.
    »Dort lag nichts«, erwiderte sie und verfiel sogleich in den Tonfall einer Verteidigung.
    Ich gemahnte mich selbst

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