Der rauchblaue Fluss (German Edition)
»Glauben Sie mir, ich befinde mich in exakt derselben Lage – oder besser gesagt, in einer noch misslicheren, denn ich muss mehrere Schiffsladungen loswerden. Aber bitte fragen Sie sich: Wie sieht die Alternative aus? Wenn die Olyphants ihren Willen bekommen, werden wir unsere gesamten Ladungen verlieren; setzen sich dagegen Jardine und seine Leute durch, was nützt das dann uns, Ihnen und mir? Es wird mindestens ein, zwei Jahre dauern, bis ein Expeditionskorps eintrifft. Glauben Sie, die Investoren, die uns ihr Kapital anvertraut haben, werden so lange stillhalten, bis eine englische Flotte um die halbe Welt segelt?«
»Nein, Sie haben recht, so lange werden sie nicht warten«, sagte Bahram. »Aber sagen Sie, Lancelot, welche Lösung haben Sie denn dann? Wie würden Sie mit diesem Problem umgehen?«
»Ganz einfach«, erwiderte Dent. »Wir beide, Sie und ich, müssen eine Möglichkeit finden, uns nach eigenem Gutdünken unseres Opiums zu entledigen, und dabei darf sich uns die Handelskammer auf keinen Fall in den Weg stellen. Wir dürfen unter keinen Umständen zulassen, dass sie sich zu einem Schattenkabinett entwickelt und unsere individuellen Freiheiten zu beschneiden versucht. Doch um das zu verhindern, bin ich auf Ihre Hilfe angewiesen. In den kommenden Monaten werden wir einem ungeheuren Druck ausgesetzt sein. Regierungen auf beiden Seiten des Erdballs werden versuchen, uns ihren Willen aufzuzwingen. Zum jetzigen Zeitpunkt kommt es vor allem darauf an, dass wir uns darauf vorbereiten, Widerstand zu leisten – wenn wir nicht zusammenhalten, werden wir mit Mann und Maus untergehen.«
Er legte Bahram die Hand auf den Arm. »Wie ist es, Bahram – kann ich auf Ihre Unterstützung zählen?«
Bahram schlug die Augen nieder. Er konnte sich nicht vorstellen, gemeinsame Sache mit Jardine oder den Repräsentanten von Olyphant & Co. zu machen – doch aus irgendeinem Grund bezweifelte er auch, dass es Dent gelingen würde, die Mehrheit seiner Kollegen zu überzeugen.
»Sagen Sie mir, Lancelot: Glauben Sie, dass Sie über den nötigen Rückhalt verfügen?«
Dent schwieg einen Moment. »Ich gestehe, dass ich optimistischer wäre, wenn Benjamin Burnham bereits hier wäre. Auf ihn könnte ich mich unbedingt verlassen, und mit seiner und Ihrer Hilfe, davon bin ich in der Tat überzeugt, könnte ich mich im Komitee durchsetzen.«
»Mr. Burnham aus Kalkutta?«, fragte Bahram. »Sitzt er ebenfalls im Komitee?«
»Ja«, sagte Dent. »Wie Sie wissen, ist es üblich, einen Vertreter eines der Calcutta Agency Houses mit aufzunehmen. Ich habe mich mit Erfolg dafür verwendet, dass der Sitz für Benjamin reserviert wurde: Wir beide verstehen uns bestens. Er ist zurzeit unterwegs nach Kanton, und sobald er eingetroffen ist, wird meine Zuversicht steigen.« Er musste sich räuspern. »Aber auf Sie kann ich natürlich trotzdem nicht verzichten, Barry – schließlich sind Sie ein alter Verbündeter von Dent and Company.«
Bahram fand, dass es noch zu früh sei, sich festzulegen. »Natürlich schätze ich Ihr Unternehmen sehr«, sagte er in unverbindlichem Ton. »Aber über diese ganze Angelegenheit muss ich noch eine Weile nachdenken.«
Die Musik machte eine Pause, die Bahram dazu nutzte, das Gespräch zu beenden. Mit einer Kopfbewegung zum Empfangsraum hin sagte er: »Ah, der Walzer ist zu Ende! Jetzt kommt die Polka. Wollen wir?«
Dent ließ sich nicht anmerken, ob er sich über den abrupten Themenwechsel ärgerte. »Aber gern«, sagte er. »Kommen Sie, gehen wir hinein.«
Drinnen entdeckte Bahram die massige Gestalt eines Mannes, der nachlässig an der Schiebetür lehnte, in der Hand einen Humpen Bier.
»Aha, Mr. Innes«, sagte Dent.
»Ist er eingeladen? Ich habe ihn vorhin nicht gesehen.«
»Ich bezweifle, dass Mr. Innes sich durch eine ausbleibende Einladung abschrecken ließe«, meinte Dent lachend. »Er lässt sich von keinem aufhalten, außer vom Allmächtigen selbst.«
Bahram kannte Innes praktisch nur vom Sehen, aber er wusste sehr gut Bescheid über ihn: Obwohl aus guter Familie, war er ein eigensinniger, ungebärdiger Mensch, der immer nur tat, was ihm passte. Er war ein Streithammel und zettelte immer wieder handgreifliche Auseinandersetzungen an, und in Bombay hätte kein ehrbarer Kaufmann Geschäfte mit ihm gemacht, weil er als unverbesserlicher Unruhestifter galt. Die Folge war, dass er seine Opiumladungen von kleinen Händlern und, nach allem, was man hörte, auch von Dieben und Hehlern beziehen
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