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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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musste.
    Deshalb überraschte es Bahram, als Dent jetzt beifällig von Innes sprach.
    »Männer wie Innes werden unsere derzeitigen Schwierigkeiten überwinden«, sagte er. »Der freie Geist wird über die Machenschaften der Tyrannen obsiegen. Wenn es irgendjemanden gibt, den man als Kreuzritter des Freihandels betrachten kann, dann ist er es.«
    »Wieso denn das, Lancelot?«
    Dent hob erstaunt die Augenbrauen. »Ist Ihnen womöglich entgangen, Barry, dass Innes als Einziger nach wie vor Opiumladungen nach Kanton bringt? Er glaubt, das sei Gottes Wille, also transportiert er die Kisten immer noch auf seinen eigenen Kuttern flussaufwärts, trotz des kaiserlichen Verbotes. Das wäre natürlich nicht möglich, wenn er keine Helfershelfer vor Ort hätte – alle werden geschmiert, die Zöllner, die Mandarine, einfach jeder. Bis jetzt ist er nicht in Schwierigkeiten gekommen. Und das ist der Beweis dafür, dass die natürliche Habgier, die Basis der menschlichen Freiheit, sich stets gegen die Launen von Tyrannen durchsetzen wird.«
    Dent näherte sich Bahrams Ohr. »Unter dem Siegel der Verschwiegenheit, Barry: Innes hat in den letzten Wochen mehrere Dutzend Kisten für mich abgesetzt. Wenn Sie möchten, kann ich gerne ein gutes Wort für Sie einlegen.«
    »Nein, nein«, sagte Bahram rasch. Er zuckte innerlich zusammen bei dem Gedanken, was man in Bombay über ihn sagen würde, wenn herauskäme, dass er mit einem Mann wie Innes Geschäfte machte. »Bitte sparen Sie sich die Mühe, Lancelot. Das wird nicht nötig sein.«
    Zu Bahrams Befremden schien Innes erraten zu haben, dass über ihn gesprochen wurde, denn plötzlich drehte er sich mit mürrischer Miene um. Ganz plötzlich kam Bahram der Gedanke, Innes könnte ihn zum Tanzen auffordern. Das versetzte ihn dermaßen in Panik, dass er Dents Hand ergriff: »Kommen Sie, Lancelot«, sagte er. »Zeit, das Tanzbein zu schwingen.«

Neuntes Kapitel
    Markwick’s Hotel, 21. November
    Meine liebe, liebe Begum von Pagglabad,
    gute Nachrichten! Endlich bin ich in der Lage, Dir bezüglich Deiner Kamelie von einem Fortschritt zu berichten. Es ist kein großer Fortschritt, aber es ist immerhin einer – und ich bin voller Hoffnung , nicht nur, was Dein Bild, sondern auch, was jene andere Suche anbelangt, die meinem Herzen noch näher ist … !
    Doch davon später; für den Augenblick nur so viel: Zu beidem wäre es nicht gekommen, hätte ich nicht etwas getan, was ich schon vor Ewigkeiten hätte tun sollen: Ich habe endlich Mut gefasst und den berühmtesten Künstler Kantons aufgesucht: Mr. Guan Ch’iao-chang.
    Und jetzt schelte ich mich selbst, weil ich nicht schon eher bei ihm war. Wie konnte ich nur so ein gudda sein? Aber ich darf nicht zu streng mit mir sein, denn es ist nicht nur meine Schuld, sondern großenteils auch die meines Onkels.
    Von Mr. Penrose hast Du sicher gehört, dass Mr. Chinnery die Maler Kantons zutiefst verachtet und es geradezu als Beleidigung empfindet, wenn jemand sie als Künstler bezeichnet. Für ihn sind sie bloße Handwerker, nicht besser als die Töpfer und Kesselflicker, die ihr Geschäft am Straßenrand betreiben. Und er steht damit nicht allein: Chinesische Kunstkenner teilen seine Auffassung, auch sie haben nur Geringschätzung übrig für den Kantoner Malstil, der sich von dem, der in China allgemeine Bewunderung genießt, in der Tat erheblich unterscheidet. Kantons Maler sind auch von ganz anderer Art als die großen chinesischen Künstler von einst. Sie stammen nicht aus berühmten, hochgebildeten Familien, und sie sind weder große Gelehrte noch hohe Beamte oder Erleuchtete. Es sind Menschen, deren Vorfahren Malis und Bauern, Khidmatgars und Werkstatthelfer waren – bescheiden, stark und männlich . Mr. Karabedian hat sich mit dieser Gruppe eingehend beschäftigt, weil einige der Handwerker, von denen er Uhren kauft, vom selben Schlag sind. Die Kantoner Ateliers sind – man glaubt es kaum – aus Porzellanbrennereien hervorgegangen, sagt er, eben jenen, die chinesisches Porzellan in der ganzen Welt berühmt gemacht haben! Es war üblich, dass die Fanquis den chinesischen Porzellanmachern Muster und Bilder schickten, mit denen dann Porzellanwaren für europäische Märkte verziert wurden (ist es nicht geradezu köstlich absurd: All diese Hausfrauen sind so versessen auf chinesisches Porzellan und finden es so herrlich exotisch, dabei werden die Vorlagen von ihren eigenen Landsleuten geliefert!).
    Die Porzellanmacher wurden zu Experten darin,

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