Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Bilder nach dem Geschmack des Abendlandes zu schaffen, und im Lauf der Zeit wandten sie sich auch anderen Objekten zu. Sie bemalten Schnupftabaksdosen, Tabletts, Kacheln und Glasscheiben, sie kopierten Porträts aus Medaillons und Amuletten und fertigten Miniaturen an, und diese kleinen Dinge beigeisterten Matrosen und Seekapitäne, die nach Kanton kamen, so sehr, dass sie den Künstlern ihre Lieblingsbilder zum Kopieren brachten: Miniaturen ihrer Frauen und Kinder ebenso wie Landschaften und Porträts, manchmal auch Kupferstiche von berühmten europäischen Gemälden, die ebenfalls außerordentlich kunstfertig reproduziert wurden. Mr. Karabedian zufolge sind einige Kantoner Maler mittlerweile so vertraut mit den europäischen Meistern, dass es ihnen ein Leichtes ist, Tiepolos und Tintorettos zu erfinden, und das in solcher Perfektion, dass jene Künstler selbst sie für ihre eigenen Werke halten würden! Schon viele dieser Gemälde sind nach Europa verschifft und dort verkauft worden, sagt Mr. Karabedian, und er würde sogar darauf wetten, dass man eines Tages den Ursprung so manchen vermeintlich in Venedig oder Rom entstandenen Bildes in China finden wird! Im eigenen Land aber wird den Kantoner Malern keine Ehre zuteil, weil ihre Arbeit nicht dem »guten« chinesischen Geschmack entspricht.
Du kannst Dir vorstellen, liebe Paggli, welche Wirkung diese Enthüllungen auf mich hatten! Jetzt begriff ich, weshalb Mr. Chinnery diese Künstler so gering schätzte: weil die Kantoner Ateliers eine Bastardkunst hervorbringen – von ihren Urhebern so wenig geliebt wie ein menschlicher Bastard von seinem leiblichen Vater (und davon kann ich ein Lied singen!).
Du verstehst sicher, warum in mir ein Gefühl der Verwandtschaft mit diesen Künstlern zu keimen begann. Ich fühlte mich ihnen zutiefst verbunden, und das verstärkte sich noch erheblich, als ich erfuhr, dass einige von ihnen denselben Lehrer gehabt hatten wie ich: niemand anders als Mr. Chinnery! Ja, meine liebe Paggli, nachdem ich Dir berichtet habe, was mein Onkel von diesen Malern hält, mag es Dich in Erstaunen setzen, dass nicht wenige von ihnen Lehrlinge in seinem Atelier waren. In seinen Augen unterscheiden sie sich jedoch nicht maßgeblich von den Pinseln, die durch seine Hände gehen, denn er betrachtet Lehrlinge als Werkzeuge (so wie meinen Bruder und mich früher), die hier einen Farbtupfer und dort einen Pinselstrich anbringen. Es wäre ihm unvorstellbar, ihnen Einlass in dieses Heiligtum zu gewähren, das er als »Kunst« bezeichnet.
Du kannst Dir denken, wie unangenehm es ihm ist, feststellen zu müssen, dass diese Lehrlinge durchaus imstande sind, eigene Werke zu schaffen, und Du wirst begreifen, warum sich sein Misstrauen und seine Abneigung vor allem gegen den einen richten, der das größte Ansehen genießt: Mr. Guan, den Fanquis als Lamqua bekannt. (Weshalb immer dieses »qua«?, wirst Du fragen. Manche meinen, die Silbe hat ihren Ursprung in dem Familiennamen Guan, anderen zufolge ist sie eine Art Titel – wie es sich nun genau verhält, ist schlechterdings nicht zu eruieren, und ich versuche es auch gar nicht mehr. Eines aber kann ich Dir sagen: Nirgendwo gibt es eine solche Fülle von Quas und Quacks und Quiditäten wie in Kanton: Howqua, Mowqua, Lamqua – da könnte es durchaus auch einen Jenesequa geben!)
Doch um auf Lamqua zurückzukommen: Auch er hat in dem Atelier in der Rua Ignacio Baptista gelernt, und Mr. Chinnery behauptet, ihm alles beigebracht zu haben. Das kann aber nicht sein, denn Lamqua kommt selbst aus einer Malerfamilie. Sein Großvater Guan Zuolin war einer der berühmtesten Künstler Kantons; bei den Fanquis ist er unter dem absurdesten Namen bekannt, den man sich überhaupt vorstellen kann: Spoilum (Mr. Karabedian hat mir einige seiner in ganz Fanqui-Town verstreuten Werke gezeigt, und ich kann bestätigen, dass sie wirklich außergewöhnlich sind, vor allem einige der Hinterglasporträts). Mr. Chinnery will Lamqua indes nicht zugestehen, dass er etwas von seinen Vorfahren gelernt haben könnte, und behauptet steif und fest, Lamqua sei als Hausboy zu ihm gekommen, in der eindeutigen Absicht, sich seine Geheimnisse anzueignen. Ob daran etwas Wahres ist, weiß ich nicht, Mr. Chinnery hat mir aber vor meiner Abreise nach Kanton zu verstehen gegeben, dass heute eine große Verbitterung zwischen ihm und Lamqua herrscht. Ich solle Lamquas Atelier auf keinen Fall betreten, warnte er mich, sonst würde man mich mit Sicherheit
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