Der rauchblaue Fluss (German Edition)
von beispielloser Tragweite stecken. Es sollte nicht überraschen, dass der Große Mandschu beschlossen hat, seine Allmacht unter Beweis zu stellen, indem er die Einfuhr von Opium in dieses Land verbietet. Es liegt im Wesen der Tyrannei, dass die Tyrannen hin und wieder auf dumme Gedanken kommen, und es liegt auf der Hand, dass dieser vor nichts haltmachen wird, um seiner Laune zu frönen: Verhaftungen, Razzien, Hinrichtungen – dieses Ungeheuer ist gewillt, jedes Instrument der Unterdrückung einzusetzen, das ihm zur Verfügung steht. Vielleicht ist nichts davon besonders verwunderlich bei einem heidnischen Despoten, doch leider gibt es auch in unserer Gemeinde hier einige, die sehr gern nach der Pfeife des Tyrannen tanzen würden.«
»Spielen Sie auf Charles King an?«, fragte Bahram.
»Ja, ich fürchte, wenn Mr. Jardine nicht mehr da ist, wird er versuchen, das Komitee unter seine Kontrolle zu bringen. Zum Glück hat er nur wenig Rückhalt, und Mr. Jardines Anhänger werden ihn nicht gewähren lassen. Andererseits sind die Mittel, mit denen Mr. Jardine und seine Leute unsere Probleme lösen wollen, auch nicht viel anders: Sie reden vom Freihandel, und doch wollen sie sich dafür einsetzen, dass niemand anders als die Regierung Ihrer Majestät eine bewaffnete Intervention beschließt. Für mich wird damit nicht nur gegen die Prinzipien des Freihandels verstoßen, sondern sie werden regelrecht mit Füßen getreten: Ich bin der Überzeugung, dass immer dann, wenn Regierungen versuchen, die unsichtbare Hand zu beeinflussen, immer dann, wenn sie versuchen, den frei fließenden Handel nach ihrem Willen zu kanalisieren, die freien Menschen um ihre Freiheiten fürchten müssen. Denn in solchen Zeiten wissen wir, dass wir uns einer Macht gegenübersehen, die danach trachtet, Kinder aus uns zu machen, einer Macht, die danach trachtet, uns des freien Willens zu berauben, den Gott gleichermaßen uns allen verliehen hat. Die Pest über ihre beiden Häuser!«
Bahrams instinktives Misstrauen gegen Abstraktionen war geweckt. »Aber Lancelot, was würden Sie denn in der derzeitigen Situation unternehmen? Haben Sie irgendeinen festen Plan?«
»Mein Plan«, sagte Dent, »besteht darin, auf den Allmächtigen zu vertrauen und alles andere den Naturgesetzen zu überlassen. Es wird nicht lange dauern, bis die natürliche Habgier sich wieder durchsetzt. Diese halte ich für den mächtigsten und edelsten Antrieb des Menschen. Nichts kann ihr widerstehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder die stolzen Ambitionen derer überwindet, die uns von oben herab regieren wollen.«
Bahram hatte angefangen, am Saum seines angarkha zu nesteln. »Lancelot … ich bin ein ganz normaler Geschäftsmann, wissen Sie. Könnten Sie bitte versuchen, das, was Sie sagen wollen, mir zuliebe ein bisschen einfacher auszudrücken?«
»Ja, gut«, sagte Dent. »Lassen Sie es mich so sagen: Glauben Sie, dass die Nachfrage nach Opium in China lediglich aufgrund eines Edikts aus Peking nachgelassen hat?«
»Nein«, sagte Bahram. »Das bezweifle ich.«
»Und das mit Recht, glauben Sie mir. Nahrungsmangel lässt einen Mann nicht seinen Hunger vergessen, sondern macht ihn nur noch hungriger. Dasselbe gilt für das Opium. Wie ich höre, liegt der Preis, der in der Stadt für eine Kiste Opium geboten wird, jetzt in der Gegend von dreitausend Dollar – fünfmal so hoch wie vor einem Jahr.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Können Sie sich vorstellen, was das bedeutet, Barry? Die cumshaws, die jeder Mandarin, jeder Wächter und jeder Soldat vor einem Jahr bekamen, sind jetzt potenziell ebenfalls um ein Vielfaches höher.«
»Das stimmt«, sagte Bahram. »Da muss ich Ihnen recht geben.«
»Wie lange kann es noch dauern, bis die Mandarine Vernunft annehmen? Wenn die Edikte und Verbote des Kaisers nicht aufgehoben werden, was sollte sie dann noch davon abhalten, sich gegen ihn aufzulehnen? Wenn er seinen Launen nicht abschwört, was sollte dann seine Untertanen hindern, sich gegen den machttrunkenen Mandschu zu erheben, der nicht einmal ihrer eigenen Rasse angehört? Wie lange kann es noch dauern, bis sie erkennen, wo ihre eigenen Interessen liegen?«
»Aber das ist ja das Problem, Lancelot«, sagte Bahram. »Die Zeit. Lassen Sie es mich ohne Umschweife sagen: Ich habe ein Schiff voll mit Opium vor Hongkong auf Reede liegen, und ich muss die Ladung so rasch wie möglich loswerden. Ich habe nicht mehr viel Zeit.«
»Oh, ich verstehe Sie gut.« Dent lächelte.
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