Der rauchblaue Fluss (German Edition)
verfügte über Besitztümer nicht nur in Bombay, sondern auch an mehreren anderen Orten, und als gläubiger Katholik hatte er sogar im Namen seiner Mutter eine Kapelle gestiftet.
Vico fuhr also nicht aus materieller Notwendigkeit weiterhin mit Bahram, sondern aus einer Reihe anderer Gründe, nicht zuletzt dem, dass er seine Investitionen im Auge behalten wollte. Er hatte einen wesentlichen Anteil an der Ladung der Anahita und deshalb nicht weniger Grund zur Sorge als Bahram.
»Warten Sie hier, Patrão«, sagte er. »Ich hole ein paar Laskaren zu Hilfe. Gehen Sie nicht allein da hinunter.«
»Warum nicht?«
Vico wandte sich noch einmal um und sagte: »Angenommen, es passiert etwas mit dem Schiff, dann sind Sie allein dort unten eingeschlossen, Patrão, verstehen Sie? Warten Sie einfach auf mich – ich bin gleich wieder da.«
Ein guter Rat, das wusste Bahram, doch unter den gegebenen Umständen nicht leicht zu befolgen. Er war schon in normalen Zeiten kaum zu halten: Ruhe war für ihn eine Qual, und wenn er weder sprach noch sich bewegte, kostete ihn das so viel Selbstbeherrschung, dass er zwanghaft mit den Fußspitzen wippte, mit der Zunge schnalzte oder mit den Knöcheln knackte. Als er sich jetzt über die offene Luke beugte, schlug ihm eine Wolke von Dämpfen entgegen: der widerwärtig süßliche Geruch des Rohopiums hatte sich mit dem des Bilgewassers zu einem erstickenden, schwindelerregenden Gestank vermischt.
In seiner Jugend, als er noch rank und schlank und gut zu Fuß gewesen war, hätte Bahram keine Sekunde gezögert, die Leiter hinabzusteigen. Inzwischen aber, Ende fünfzig, waren seine Gelenke schon ein wenig steif, und um die Hüften hatte er beträchtlich zugenommen. Seine Stattlichkeit, wenn man so wollte, zeugte jedoch von einer robusten Natur, und die golden schimmernde Haut und die rosigen Wangen kündeten von ungebrochener Kraft und Vitalität. Darauf zu warten, dass das Schicksal entschied, war seine Sache nicht: Er warf seinen choga ab und stieg in den Laderaum hinunter, wurde jedoch alsbald heftig durchgeschüttelt, weil die Leiter kippte und schwankte.
Er hakte sich mit den Armen an den eisernen Holmen ein und schloss die Hand fest um den Griff der Laterne. Doch trotz aller Vorsicht hatte er nicht mit dem Schleim unter seinen Sohlen gerechnet. Aus den zersplitterten Kisten waren dürres Laub und andere Reste von Mohnpflanzen gefallen und hatten sich mit dem Schlick vermengt. Die Decksplanken waren davon so nass und glitschig wie ein Misthaufen, und alles, worauf man trat, war mit einem Pflanzenbrei von der Konsistenz von Kuhdung bedeckt.
Als Bahram von der Leiter stieg, rutschten seine Füße unter ihm weg und er fiel mit dem Gesicht voran in einen Haufen Matsch. Es gelang ihm, sich umzudrehen und sich aufzusetzen, den Rücken an einen Spant gelehnt. Seine Laterne war ausgegangen, er sah nichts, und seine Kleider waren binnen kürzester Zeit völlig durchweicht, von der Spitze seines Turbans bis hinab zum Saum seines knöchellangen angarkha. In seinen schwarzen Lederschuhen quoll Opiumbrei zwischen den Zehen hindurch.
Etwas Kaltes, Nasses klatschte an seine Wange. Er hob die Hand, um es wegzuwischen, doch in eben diesem Moment kam das Schiff stark ins Schwanken, und er schmierte sich das Zeug über den Mund. In der schaukelnden Finsternis, in der Kisten und andere Behälter herumrutschten und gegen Hindernisse krachten, stieg ihm der betäubende Geruch des Opiums in den Kopf. Hektisch und voller Abscheu begann er, an seiner Haut herumzukratzen, um sich von der zähen Masse zu befreien, doch da stieß eine Holzkiste gegen seinen Ellbogen, und noch mehr von der Droge geriet zwischen seine Lippen.
Da erschien oben in der Luke ein Licht, und eine besorgte Stimme rief: »Patrão? Patrão?«
»Vico! Hier!« Bahram hielt den Blick auf die Laterne gerichtet, die langsam die schwankende Leiter herab auf ihn zukam. Dann holte das Schiff erneut über, und er flog unter einer Welle von Matsch auf die Seite. Er hatte nun Opium in den Augen, den Ohren, der Nase und der Luftröhre – es war, als ertränke er, und in diesem Moment blitzten viele Gesichter vor seinem inneren Auge auf – das seiner Frau Shirinbai in Bombay und die ihrer beiden Töchter, das seiner Geliebten Chi-mei, die einige Jahre zuvor in Kanton gestorben war, und das des Sohnes, den er mit ihr hatte. Es war Chi-meis Gesicht, das nicht weichen wollte; sie schien ihm tief in die Augen zu schauen, während er sich hustend und
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