Der rauchblaue Fluss (German Edition)
sorgfältig gegen Diebstahl gesichert, und wegen des starken Schlingerns war es schwierig, die Schlösser und Ketten zu entfernen. Als Bahram endlich mit der Laterne in den Laderaum leuchten konnte, blickte er auf eine Szene hinab, die sein Begriffsvermögen überforderte.
Die Ladung im Achterraum bestand fast zur Gänze aus Opium. Unter dem Anprall der Sturmböen waren Hunderte von Kisten verrutscht und geborsten, sodass ihr Inhalt im gesamten Laderaum verstreut lag. Irdene Opiumbehälter krachten wie Kanonenkugeln in die Schotten.
Opium in dieser Form war von schmutzig brauner Farbe und fühlte sich ledern an, löste sich aber auf, wenn es mit Flüssigkeiten vermischt wurde. Den Erbauern der Anahita war diese Gefahr durchaus bewusst gewesen, und sie hatten viel Sorgfalt darauf verwendet, den Laderaum wasserdicht zu machen. Doch der Sturm rüttelte das Schiff derart heftig durch, dass die Fugen zwischen den Planken undicht geworden waren und schlammiges Regen- und Bilgewasser einsickern konnte. Die Nässe hatte die Hanftaue, mit denen die Ladung gesichert war, aufgeweicht, und sie waren gerissen; die Kisten waren ineinandergekracht, und ihr Inhalt war in den Matsch geflossen. Diese zähe, stinkende Brühe schwappte jetzt in Wellen hin und her, die sich an den Wänden des Laderaums brachen, während das Schiff schlingerte und stampfte.
Dergleichen war Bahram noch nie passiert; er hatte so manchen Sturm abgeritten, ohne dass eine Ladung Opium sich auf diese Weise selbstständig gemacht hatte. Er hielt sich für einen umsichtigen Menschen, und im Lauf der über dreißig Jahre, die er im Chinahandel tätig war, hatte er seine eigenen Verfahren zum Verstauen der Kisten entwickelt, in denen das Rauschgift transportiert wurde. Zwei Sorten Opium waren im Laderaum: etwa zwei Drittel davon »Malwa« aus dem westlichen Indien – ein Produkt, das in Form kleiner runder Kuchen verkauft wurde, ganz ähnlich wie bestimmte Arten braunen Zuckers. Sie wurden ohne jede feste Verpackung verschifft, man wickelte sie nur in Blätter ein und bestäubte sie leicht mit Mohnabfällen. Die übrige Ladung bestand aus bengalischem Opium, das dauerhafter verpackt war: in Behältern aus Ton, die etwa die Form und die Größe einer Kanonenkugel hatten. Jede Kiste enthielt vierzig dieser Kugeln, und jede einzelne lag in einem Nest aus Mohnblättern, Stroh und anderen Ernterückständen. Die Kisten waren aus Mangoholz und eigentlich stabil genug für eine sichere Aufbewahrung des Opiums während der normalerweise drei- bis vierwöchigen Schiffsreise von Bombay nach Kanton; Bruch war selten, Schäden wurden, wenn überhaupt, eher durch Feuchtigkeit verursacht. Um das zu verhindern, ließ Bahram stets einen bestimmten Abstand zwischen den Reihen, sodass die Luft zwischen den Kisten zirkulieren konnte.
Im Lauf der Jahre hatten sich Bahrams Vorkehrungen bewährt: In den Jahrzehnten seiner Fahrten zwischen Indien und China musste er auf einer einzelnen Reise nie mehr als eine oder zwei Kisten abschreiben. So großes Vertrauen hatte er in seine lang erprobten Methoden, dass er sich nicht die Mühe machte, im Laderaum einmal nach dem Rechten zu sehen, als die Anahita in den Sturm geriet. Erst das Krachen der losgerissenen Kisten alarmierte die Besatzung, die schließlich Vico Meldung erstattete.
Als er jetzt hinabschaute, sah Bahram Kisten, die gegen die Schotten krachten wie Flöße gegen ein Riff, überall im Laderaum zerschellten Opiumkugeln an den Spanten und Planken, und Klumpen der gummiartigen Masse schossen umher wie Schrapnelle.
»Vico! Wir müssen etwas tun, wir müssen runter und die Kisten vertäuen, bevor sich alle losreißen.«
Vico war ein großer, dickbäuchiger Mann mit dunkel glänzender Haut und hervorquellenden, wachsamen Augen. Er hieß mit vollem Namen Victorino Martinho Soares und war ein »Ostindier« aus dem kleinen Dorf Vasai bei Bombay. Neben vielen anderen Sprachen beherrschte er auch etwas Portugiesisch, und seit dem Tag vor zwanzig Jahren, als er in Bahrams Dienste getreten war, redete er ihn stets als »Patrão« – »Chef« – an. Im Lauf der Jahre war er in den Rang eines Zahlmeisters aufgestiegen, und in dieser Eigenschaft herrschte er nicht nur über Bahrams Personal, sondern fungierte auch als Berater, Mittelsmann und Kompagnon. Seit Langem schon investierte er regelmäßig einen Teil seiner Einkünfte in das Geschäft seines Arbeitgebers, und auf diese Weise hatte er ein ansehnliches Vermögen erworben: Er
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