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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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bestimmte Sorten Bleiwurz, Zierquitte und Winterblüte etwa – auf den britischen Inseln enorm populär geworden waren.
    Der Beruf des Pflanzensammlers hatte Fitcher wieder nach Osten geführt, auf seinem eigenen Schiff, der Redruth , einer zweimastigen Brigg.
    Die Redruth lief zwei Tage später als die Ibis in Port Louis ein, nach einer Reise, die ebenfalls von Tragödien und Unglücksfällen überschattet gewesen war. Keiner auf der Brigg hatte mehr gelitten als Fitcher selbst, und erst auf Drängen zweier Leute aus seiner Mannschaft hatte er sich entschlossen, eine Ruhepause an Land einzulegen: Am ersten klaren Tag nach der Ankunft der Redruth ruderten ihn zwei Matrosen an Land und mieteten ihm ein Pferd, damit er den botanischen Garten von Pamplemousses besuchen konnte.
    Dieser botanische Garten war der Hauptgrund dafür, dass die Reiseroute der Redruth über Port Louis verlief. Der Garten in Pamplemousses gehörte zu den ersten seiner Art, und zu seinen Gründern und Kuratoren zählten einige der berühmtesten Botaniker – der große Pierre Poivre hatte dort gearbeitet, der den echten schwarzen Pfeffer bestimmt hatte, desgleichen Philibert Commerson, der Entdecker der Bougainvillea. Hätte es so etwas wie einen Pilgerweg für Gartenbauer gegeben, wäre der botanische Garten von Pamplemousses zweifellos eine seiner geheiligtesten Stationen gewesen.
    Pamplemousses war zu Pferd kaum mehr als eine Stunde von Port Louis entfernt. Fitcher hatte den Garten schon einmal besucht, auf dem Rückweg von seiner ersten Chinareise: Damals war die Insel eine französische Kolonie gewesen, jetzt war sie in britischem Besitz und hatte sich stark verändert. Doch auch zu seiner eigenen Überraschung hatte Fitcher keine Schwierigkeiten, die Straße wiederzufinden, die zu dem Dorf führte. Unterwegs entdeckte er am Straßenrand einige schöne Exemplare eines Strauchs, der »Feuer im Busch« genannt wurde, einer schönen Windenart, die flammend rote Blüten in großer Fülle hervorbrachte. Unter anderen Umständen hätte ihn eine solche Entdeckung überrascht und erfreut, er wäre vom Pferd gestiegen und hätte die Pflanze näher in Augenschein genommen; jetzt aber ließ sein Gemütszustand das nicht zu, und er ritt weiter, ohne anzuhalten.
    Unversehens erreichte er Pamplemousses.
    Das Dorf war eines der hübschesten auf der Insel, es bestand aus leuchtend bunten Bungalows, weiß getünchten Kirchen und kopfsteingepflasterten Gassen, auf denen die Hufe seines Pferdes melodisch klapperten. Die Häuser und Plätze waren noch weitgehend so, wie Fitcher sie in Erinnerung hatte, doch als sein Blick zum botanischen Garten hin wanderte, erschrak er dermaßen, dass er fast vom Pferd gefallen wäre: Wo sich früher zwischen ordentlichen Baumreihen weite, malerische Ausblicke geöffnet hatten, sah er jetzt ein Dickicht wüst durcheinanderwachsender Pflanzen verschiedenster Art. Er schüttelte ungläubig den Kopf und sah noch einmal genauer hin: Die Torpfosten standen noch dort, wo er sie erwartet hätte, doch dahinter war offenbar nichts als Dschungel.
    Er zügelte sein Pferd und wandte sich an eine ältere Frau, die gerade vorbeikam: »Madam! Der Garten? Wissen Sie den Weg?«
    Die Frau verzog den Mund und schüttelte den Kopf: »Ah, Msieu … le Garten, den gibt’s nicht mehr … depuis zehn Jahren … abandonné von l’Anglais … «
    Es betrübte Fitcher, dass seine Landsleute für den Verfall des botanischen Gartens verantwortlich waren, überraschte ihn aber nicht unbedingt. Seit dem Tod von Sir Joseph Banks, dem letzten Kurator der Kew Gardens, waren sogar die botanischen Einrichtungen in England mehr oder minder verwahrlost; was Wunder also, dass ein Garten in einer entlegenen Kolonie verwildert war. Doch das milderte keineswegs Fitchers Abscheu beim Anblick der Wildnis, die jetzt vor ihm aufragte: Die unbeschnittenen Kronen der Bäume waren miteinander verwachsen und bildeten ein dichtes Blätterdach, das die Blumenbeete und Plattenwege darunter in Dunkelheit hüllte; an der Peripherie des Geländes bildete der Dschungel eine undurchdringliche Mauer, und die wuchernden Luftwurzeln der Banyanbäume, die den Haupteingang flankierten, waren zu einem Gitter verwachsen, das dafür vorgesehen schien, Eindringlinge abzuschrecken. Das war kein urzeitlicher Dschungel, denn keine normale Wildnis hätte eine solche Vielfalt an Arten von verschiedenen Kontinenten enthalten. In keinem natürlichen Wald hätten afrikanische Kletterpflanzen

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