Der rauchblaue Fluss (German Edition)
sich etwas Unheilvolles in Fanqui-Town zusammenbraut. Selbst während ich dies schreibe, höre ich beunruhigende Geräusche – ein Hämmern auf dem Dach meines Hongs, gehetzte Schritte – , die mich daran erinnern, dass ich mich kurzfassen muss …
Du wirst Dich freuen zu hören, dass es Baburao gestern unter schwierigsten Bedingungen gelungen ist, Deine kostbaren Pflanzen wohlbehalten nach Kanton zu bringen. Auf dem Perlfluss habe das reine Chaos geherrscht, hat er berichtet, weil Captain Elliott, der britische Bevollmächtigte, in höchster Eile von Macao nach Kanton unterwegs war, um den chinesischen Behörden zuvorzukommen. Baburao hat ihn in einer Flussbiegung sogar vorbeifahren sehen, in einem von Laskaren geruderten schnellen Kutter, mit einer Abteilung Sepoys als Eskorte. Als sich Boote der Mandarine näherten, bahnte er sich gewaltsam seinen Weg, praktisch mit vorgehaltener Waffe.
Die Eile des Captains – und das mag Dir einen Eindruck von dem Aufruhr vermitteln, der Fanqui-Town erfasst hat – war durch eine Art Rettungsaktion bedingt: Mr. Dent ist aufgefordert worden, persönlich vor dem Kommissar zu erscheinen, und befindet sich in einem Zustand höchster Angst! Er glaubt, man will ihn einsperren, und weigert sich, seine Wohnung zu verlassen. Alle seine Kumpane haben sich um ihn geschart und stehen ihm zur Seite; sie befürchten, sie könnten die Nächsten sein.
Das alles habe ich gestern von Charlie King erfahren, der zu dem Zeitpunkt gerade bei Mr. Dent war. Der Hochkommissar ist sich offenbar darüber im Klaren, dass die ausländischen Kaufleute lieber das Leben der Cohong-Händler opfern würden, als sich von ihrem Opium zu trennen. Er hat deshalb beschlossen, unmittelbar gegen sie vorzugehen: Er erteilt keine Reisegenehmigungen mehr, sodass sie nicht aus Kanton flüchten können, und er will den größten und uneinsichtigsten Schmuggler von allen, Lancelot Dent, zur Rede stellen. Damit hat er Mr. Dent und seine Verbündeten vollkommen überrumpelt. Offenbar hatten sie nicht damit gerechnet, als Europäer jemals persönlich für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Charlie sagt, Mr. Dents Gesicht sei sehenswert gewesen, als ihm der Haftbefehl zugestellt wurde. Binnen Minuten war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Seine viel gepriesene Freihandelsdoktrin war im Nu vergessen, und er verlor keine Zeit, sich Schutz suchend an die Röcke seiner Regierung zu klammern. Er und seine Freihändlerkumpane mit ihrer Prahlerei und Arroganz sind in Wirklichkeit elende Feiglinge, Männer, die nichts wären, wüssten sie nicht Englands Armee und Marine als Garanten ihrer Profite hinter sich.
Angesichts dessen wirst Du Dir vorstellen können, liebe Paggli, was für einen Tumult Captain Elliotts Ankunft in Fanqui-Town auslöste. Eine riesige Menschenmenge – Chinesen ebenso wie Ausländer – schaute zu, als er von Bord seines Kutters ging und dann am Konsulat die Flagge hisste. Anschließend begab er sich inmitten seiner Sepoys in den Paoushun Hong, aus dem er kurz danach wieder auftauchte, zusammen mit dem bedauernswerten, angstschlotternden Mr. Dent. Unter dem Schutz des Captains überquerte er den Maidan und ging in die britische Faktorei, die nun zu seinem Schlupfwinkel und Refugium geworden ist. Charlie nennt es eine Schmach und Schande für die Briten, dass sie einem notorischen Kriminellen den Schutz ihrer Flagge gewähren.
Wenig später wurde eine Sitzung aller ausländischen Kaufleute im britischen Hong einberufen – vielleicht nicht unbedingt der geeignete Ort für mich, aber Du weißt ja, wie neugierig ich bin. Um nichts in der Welt hätteich mir das entgehen lassen! Zadig Bey begleitete mich – und Du kannst Dir nicht vorstellen, was für ein tamasha und goll-maul dort herrschten. Ausländer jeder Couleur rangelten um die Sitzplätze! Wir mussten uns richtig durchkämpfen.
Ich wünschte, ich könnte sagen, die Rede des Captains wäre der ganzen Aufregung gerecht geworden, aber leider war es nur das übliche Burra-Sahib-Gerede. Mit keinem Wort erwähnte er, wie seine Regierung vor dem Opiumschmuggel die Augen verschließt, und auch auf die Anklage gegen Dent und die anderen Schmuggler ging er nicht ein. Stattdessen kündigte er an, dass er unverzüglich Reisegenehmigungen für alle Ausländer verlangen werde; würden sie verweigert, erklärte er, werde er das als einen kriegerischen Akt betrachten (ist das nicht, liebe Paggli, als würde ein Räuberhauptmann in den
Weitere Kostenlose Bücher