Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Gerichtssaal marschieren und die sofortige und bedingungslose Freilassung seiner Bande verlangen?). Dann – und das war das Beunruhigendste – forderte er uns auf, unser Hab und Gut auf die englischen Schiffe zu bringen, die derzeit in Whampoa vor Anker liegen. Alle glauben deshalb, er werde demnächst eine Evakuierung anordnen – und Du kannst Dir sicher denken, liebe Paggli, wie bestürzt ich darüber war. Die Aussicht, Jacqua zu verlassen, den einzigen Ort auf Erden zu verlassen, an dem mir ein kleines bisschen Glück beschieden war, ist mir – unnötig zu sagen – unerträglich …
In tiefste Melancholie versunken, saß ich später in meinem Zimmer und überlegte, was als Nächstes zu tun sei, da erschien niemand anders bei mir als Baburao.
Ich war natürlich sehr froh, dass Deine Pflanzenlieferung wohlbehalten in Kanton angekommen war, aber offen gestanden (und das wird Deine Meinung von mir hoffentlich nicht schmälern) hätte die Nachricht zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können. Nie waren Pflanzen meinem Sinn ferner gewesen – was sollte ich mit ihnen tun? Wie sollte ich sie ohne Ah-med in die Pearl-River-Nursery bringen? Wie konnte ich überhaupt wissen, ob Mr. Chan noch in der Stadt war? Ich habe ihn und Ah-med seit meinem letzten Besuch nicht mehr gesehen.
Aber es stand außer Frage, dass der Pflanzentausch, wenn überhaupt, sofort stattfinden musste, denn die ausländischen Kaufleute haben nun allen Ernstes den Fehdehandschuh geworfen und weigern sich nicht nur, ihr Opium herauszugeben, sondern lehnen es auch ab, sich verhören zu lassen. Dass dies Konsequenzen haben würde, war zu erwarten.
Baburao war darin völlig mit mir einig. Der Kommissar, meinte er, sei kein Mann, der sich provozieren lasse, er werde den Fluss mit Sicherheit sperren. Der Pflanzentausch müsse deshalb unbedingt noch vorher stattfinden.
Es war inzwischen Nacht geworden und damit zu spät für eine Fahrt nach Fa-Ti, deshalb vereinbarten wir, am nächsten Morgen aufzubrechen. Ich ging also heute früh zum Fluss hinunter, wo mich Baburao schon erwartete, in einem überdachten Sampan mit Deinen sechs sorgfältig im Schatten verstauten Pflanzen (denn es ist zurzeit fürchterlich heiß hier). Wir fuhren sofort los, und ich muss zu meiner Freude sagen, dass ich kein so schlechter Führer war, wie ich befürchtet hatte. Als wir uns Fa-Ti näherten, konnte ich Baburao den kleinen Wasserlauf zeigen, der, soweit ich mich erinnerte, zur Pearl River Nursery führt.
Wir waren schon in ihn eingebogen, da bemerkten wir etwas höchst Besorgniserregendes. Vor uns lagen mehrere offiziell aussehende Boote, und an den Ufern wimmelte es von Soldaten.
Es wird Dich nicht überraschen, liebe Paggli, dass Baburao mehr Geistesgegenwart bewies als Dein armer Robin. Er schob mich unter die Überdachung des Sampans und sagte, ich solle mich zwischen den Pflanzen verstecken. Das tat ich in höchster Eile: Ich rollte mich wie ein Kätzchen zusammen und duckte mich zwischen Deine Töpfe (keine leichte Aufgabe, wie ich hinzufügen darf, liebe Paggli, denn diese gemeine Douglastanne nahm meine Anwesenheit nicht gut auf – nicht umsonst sagt man von ihr, sie sei mit Nadeln »bewaffnet«).
Baburao hatte unterdessen unseren Sampan auf Kurs gehalten und gedachte, sollte man ihm Fragen stellen, zu erklären, er passiere den Flusslauf nur auf dem Weg zu einem anderen Ziel. Prompt wurden wir kurz vor der Gärtnerei angehalten, und Baburao wurde von einem Offizier ausführlich befragt. Du kannst Dir nicht vorstellen, liebe Paggli, was ich für eine Angst ausgestanden habe. Nicht nur schlug mir das Herz bis zum Hals, ich sah mich auch extremen Missempfindungen ausgesetzt (denn Deinem abscheulichen Johannisbeerstrauch war es irgendwie gelungen, mir eines seiner Blätter in die Nase zu schieben, und ich hatte größte Mühe, einen Niesanfall zu unterdrücken).
Doch zum Glück behielt Baburao seine Geistesgegenwart. Ich verstand zwar nicht, was er zu den Offizieren sagte, aber er muss sehr überzeugend gewesen sein, denn unser Sampan durfte seinen Weg fortsetzen, ohne durchsucht zu werden.
Baburao ruderte gleichmäßig weiter, und als wir auf der Höhe der Gärtnerei angekommen waren, entdeckte ich einen Spalt im Bambusdach des Bootes und schaute durch. Mit dem Anblick, der sich mir bot, hätte ich eigentlich rechnen müssen, aber ich hatte es nicht getan. Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Nur so viel: Breschen waren in die Mauern
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