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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Sir.«
    »Trotzdem, Sie müssen es ihm klarmachen, Mr. Fearon.«
    »Sehr wohl.«
    Mr. Fearon entfernte sich, und Mr. Dent wischte sich das Gesicht. Jetzt erst bemerkte Bahram, wie blass und krank er aussah; seine Fingernägel waren völlig abgekaut.
    »Mein lieber Dent!« Bahram streckte ihm die Hand hin. »Das ist ja schrecklich! Was wollen die denn von Ihnen?«
    Dent schien zu mitgenommen, um sprechen zu können, denn es war Burnham, der antwortete: »Angeblich wollen sie ihn in die Altstadt bringen und ihm ein paar Fragen stellen. Aber ihre wahren Absichten dürften ganz andere sein.«
    »Es geht das Gerücht«, fügte Mr. Wetmore hinzu, »dass der Kommissar die Cohong aufgefordert hat, einen Koch zu schicken, der auf europäisches Essen spezialisiert ist.«
    »Was bedeutet das?«, fragte Bahram. »Wollen sie Dent festhalten? Ins Gefängnis stecken?«
    »Schon möglich.« Burnham lächelte grimmig. »Oder noch Schlimmeres – vielleicht wollen sie ihm ein letztes Abendmahl bereiten.«
    »Also bitte, Benjamin … « Dent rang die Hände. »Müssen Sie das jetzt sagen?«
    »Sir!«
    Mr. Fearon war zurück. »Der Weiyuen sagt, die Dekrete des Kaisers besagen unmissverständlich, dass sich alle in China lebenden Ausländer an chinesisches Recht zu halten haben.«
    »So wird das aber nicht gehandhabt«, sagte Wetmore. »In Kanton war es immer üblich, dass die Ausländer ihre Angelegenheiten nach ihren eigenen Gesetzen regeln. Bitte erklären Sie das dem Weiyuen, Mr. Fearon.«
    »Sehr wohl, Sir.«
    Mr. Fearon hatte sich kaum entfernt, da war er schon wieder da. »Der Weiyuen bittet Sie, näher zu treten. Er wünscht das Wort direkt an Sie zu richten.«
    »Näher treten?«, rief Slade empört. »Damit er uns vorführen kann, welche Erniedrigung er Howqua und Punhyqua angetan hat? Das ist ja eine Unverschämtheit sondergleichen!«
    »Er besteht darauf, Sir.«
    »Wir gehen besser hin«, sagte Dent. »Wir müssen ihn ja nicht noch provozieren.«
    Die anderen folgten ihm und stellten sich so, dass sie die beiden angeketteten Hong-Händler nicht direkt vor Augen hatten.
    »Der Weiyuen fragt, ob Ausländer in Ihrem Land vom Gehorsam gegenüber dem Gesetz ausgenommen sind.«
    »Nein«, antwortete Wetmore, »das sind sie nicht.«
    »Warum sind Sie dann der Meinung, Sie seien von chinesischem Recht ausgenommen?«
    »Weil sich die Ausländergemeinde Kantons üblicherweise selbst reguliert.«
    »Der Weiyuen sagt, das gilt nur, solange Sie sich an die Gesetze des Landes halten. Wir haben Sie ein ums andere Mal gewarnt, wir haben Edikte und Proklamationen erlassen, und trotzdem haben Sie unter Missachtung unserer Gesetze weiterhin Opiumschiffe an unsere Küste gebracht. Wieso sollten Sie also nicht wie Verbrecher behandelt werden?«
    »Bitte erklären Sie dem Weiyuen«, sagte Mr. Wetmore, »dass wir als Engländer und Amerikaner gemäß den Gesetzen unserer Länder gewisse Freiheiten genießen. Das bedeutet, dass wir zuallererst unserem eigenen Recht unterstehen.«
    Es dauerte eine Weile, das zu erklären.
    »Der Weiyuen sagt, er kann nicht glauben, dass ein Land so barbarisch ist, dass es seinen Kaufleuten die Freiheit zugesteht, der Bevölkerung eines fremden Reichs Schaden zuzufügen und sie auszuplündern. Das ist keine Freiheit, das grenzt an Piraterie. Keine Regierung kann so etwas dulden.«
    Inzwischen war Mr. Slades Geduld erschöpft, und er hatte begonnen, mit seinem Stock auf den Boden zu hämmern. »Himmeldonnerwetter!«, rief er. »Können wir dieses heuchlerische Gesäusel nicht lassen? Bitte sagen Sie ihm, Mr. Fearon, dass er schon merken wird, was Freiheit bedeutet, wenn sie aus dem Rohr eines Sechzehnpfünders auf ihn zukommt.«
    »Das kann ich ihm doch nicht sagen.«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte Dent. »Trotzdem glaube ich, Slade hat nicht ganz unrecht. Es wird Zeit, dass wir Captain Elliott um Intervention bitten.«
    Mr. King hatte mit einem gequälten Lächeln zugehört und meldete sich nun zu Wort: »Aber Mr. Dent! Gerade Sie und Mr. Slade wollten Captain Elliott doch immer von Kanton fernhalten. Irre ich mich, oder waren Sie es, der gesagt hat, das Eingreifen eines Regierungsvertreters wäre eine Pervertierung der Gesetze des Freihandels?«
    »Das hier ist keine Frage des Handels mehr«, erwiderte Dent kühl. »Wie Sie sehen, geht es jetzt um unsere Person, unsere Sicherheit.«
    »Ah, ich verstehe!« Mr. King lachte. »Die Regierung ist für Sie, was Gott für den Agnostiker ist – sie wird nur dann

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