Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Brücke deuten, er sah sich in den bodenlosen Abgrund stürzen.
Als er wach wurde, war er schweißgebadet, und doch war er noch nie so froh gewesen, aus einem Traum aufzuwachen. Er fasste nach der Klingelschnur und riss so heftig daran, dass Vico die Treppe heraufgestürzt kam.
»Was ist los, Patrão? Was ist passiert?«
»Vico, ich möchte, dass Sie in den Paoushun Hong gehen. Versuchen Sie herauszufinden, was mit Dent ist. Und nehmen Sie den Munshi mit.«
Vico sah ihn überrascht an. »Keine Arbeit heute, Patrão?«
»Nein. Ich fühle mich nicht wohl. Lassen Sie mir das Frühstück ins Schlafzimmer bringen.«
»Ja, Patrão.«
Den Rest des Vormittags versorgten Vico und der Munshi Bahram abwechselnd mit Neuigkeiten: Bald waren die Hong-Kaufleute bei Dent, bald waren sie in der Kammer und flehten deren Mitglieder an, Dent zur Kapitulation zu bewegen.
»Aber wir sind nicht befugt, unsere Mitglieder zu irgendetwas zu zwingen«, beharrte das Komitee.
»Wozu ist eine Kammer dann da?«, gaben die Hong-Händler zurück, »wenn sie keinen Einfluss auf ihre Mitglieder hat?«
Am frühen Nachmittag berichtete der Munshi, er habe soeben Zadig Bey gesehen, der eine Abordnung von Übersetzern und Vermittlern zu den Mandarinen begleite.
Einige Stunden später kam Zadig selbst vorbei, erschöpft, aber seltsam beschwingt.
»Was war? Wo waren Sie? Im Consoo House?«
»Nein«, antwortete Zadig, »in der ummauerten Stadt, zum ersten Mal in meinem Leben … «
Sie waren durch das Chulan-Tor und zum Kuan-yin-Tempel geführt worden. Im ersten Hof hatten sie sich unter einem riesigen Baum niedergelassen. Wenig später geleitete man sie ins Innere des Tempels, in den Hof, in dem die Priester wohnten, und brachte ihnen Tee, Obst und andere Erfrischungen. Nach einer Weile kamen mehrere Mandarine, darunter der Schatzmeister der Provinz, der Salzkommissar, der Getreideinspektor und ein Richter.
Einige hatten gehofft, andere hatten gefürchtet, der Yum-chae würde ebenfalls anwesend sein, doch das war nicht der Fall.
Sie wurden nach ihren Namen, ihren Heimatländern und anderem mehr gefragt, dann sagten die Mandarine: »Warum gehorcht Mr. Dent dem Yum-chae nicht?«
Mr. Thom, der Übersetzer, sprach für die anderen. »Die Ausländer sind überzeugt, dass man ihn verhaften und einsperren würde, wenn er in die Altstadt ginge.«
Die Antwort gab der Richter. »Die Augen des Hochkommissars«, sagte er, »sind sehr scharf, und seine Ohren sind sehr lang. Er weiß, dass dieser Dent ein schwerreicher Kapitalist ist. Der Hochkommissar hat klare Befehle des Kaisers, den Opiumhandel zu unterbinden. Er wünscht diesen Dent zu ermahnen und sich zudem nach der Art seiner Geschäfte zu erkundigen. Erklärt sich dieser Dent nicht bereit, vor ihm zu erscheinen, wird er gewaltsam aus seiner Wohnung geschleppt werden. Leistet er Widerstand, wird er getötet werden.«
Die Abordnung reagierte nicht auf diese Worte, und so sagte der Schatzmeister: »Warum schützen Sie diesen Dent noch immer? Ist Ihnen, den Fremden, der Handel mit China nicht teuer?«
»Doch«, erwiderte Mr. Thom. »Aber noch teurer ist uns Dents Leben.«
»Und dann«, sagte Zadig, »geschah etwas sehr Seltsames, Bahram-bhai. Mr. Thoms Antwort gefiel den Mandarinen so gut, dass sie applaudierten! Nicht zu fassen, dass … «
Doch er konnte den Satz nicht vollenden, denn Vico kam ins Zimmer gestürmt. »Patrão, schauen Sie aus dem Fenster!«
Bahram trat mit Zadig ans Fenster und sah hinunter: Eine Menschenmenge hatte sich am Eingang der britischen Faktorei versammelt. Über den Köpfen der Zuschauer sah man die Turbane einer Abteilung Sepoys; einige hatten Gewehre geschultert, und der Mann an der Spitze trug den Union Jack.
»Captain Elliott«, sagte Zadig. »Das muss Captain Elliott sein!«
»Ach, Gott sei Dank, Gott sei Dank«, sagte Bahram. Er schloss die Augen und murmelte ein Dankgebet. Zum ersten Mal seit Langem fühlte er sich wieder sicher. Den britischen Bevollmächtigten in der Nähe zu wissen war, als würde ihm eine Gnadenfrist gewährt.
Siebzehntes Kapitel
Kanton, Markwick’s Hotel, 25. März 1839
Liebste Paggli,
schlechte Nachrichten sind immer schwer zu überbringen, vor allem, wenn die Zeit drängt. Du wirst deshalb begreifen, warum es doppelt schwierig für mich ist, diese Zeilen zu schreiben: Nicht nur muss ich Dir von einer höchst unerfreulichen Entwicklung berichten, ich muss es auch in größtmöglicher Eile tun, denn es gibt Anzeichen dafür, dass
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