Der rauchblaue Fluss (German Edition)
geschlagen! Die Tore waren niedergerissen, der Garten dahinter verwüstet, und viele von Mr. Chans Leuten standen an der Böschung aufgereiht, die Hände hinter dem Rücken gefesselt – was für ein Schicksal sie erwartete, daran wage ich gar nicht zu denken.
Von Mr. Chan oder Ah-med war nichts zu sehen, aber ich schaute auch nicht so genau hin, denn der Anblick des Kordons Soldaten weckte eine grauenvolle Vorstellung in mir: Was wäre passiert, wenn ich schon in der Gärtnerei gewesen wäre, als die Soldaten kamen? Was wäre dann aus mir geworden?
Oh, ich mag gar nicht davon sprechen, liebe Paggli, in meinem Bauch rumort es. Wenn ich mir all die grauenvollen Möglichkeiten zu genau ausmale, werden meine Hosen noch zur Crêperie.
Ich hatte schon länger den Verdacht, dass Mr. Chan – alias Lynchong, alias Ah Fey – ein Mann mit vielen Talenten ist, um es einmal so auszudrücken. Wenn mich das nicht davon abgehalten hat, ihn aufzusuchen, so nur meiner unverbesserlichen Neugier wegen. Ich kann nicht leugnen, dass Mr. Chans faszinierende Lebensgeschichte mein Interesse geweckt hatte. Es erschien mir außerordentlich merkwürdig, dass jemand die Blumen ebenso liebt wie das Opium, aber inzwischen ist mir klar, dass darin kein Widerspruch liegt, denn können nicht beide eine Art Rausch hervorrufen? Könnte man nicht sogar sagen, dass das eine zwangsläufig zum anderen führt? Jedenfalls gäbe es ohne Blumen kein Opium – und wovon träumen Drachenjäger, wenn nicht von Gärten überirdischen Entzückens?
Aber wie dem auch sei – Baburao und ich mussten uns ungemein glücklich schätzen, dass wir unser kleines Missgeschick so gut überstanden hatten. Auf der Rückfahrt beschlossen wir, Dir die Pflanzen sofort zurückzubringen, denn Baburao bezweifelt, dass er sie noch lange wird am Leben erhalten können – und wir wissen ja, wie sehr sie Dir am Herzen liegen und wie weit sie gereist sind. Fürs Erste setzt Du sie deshalb wohl besser wieder in Deiner Inselgärtnerei ein, sodass sie wachsen und sich vermehren können, während wir auf bessere Zeiten warten. Ihr werdet schrecklich enttäuscht sein, Du und Mr. Penrose, ich weiß, aber es ist doch ein kleiner Trost, dass sie noch am Leben sind und ein andermal getauscht werden können, nicht wahr? Noch ist nicht alles verloren, liebe Paggli. Sollte es Dir aber so scheinen, dann bitte ich Dich inständig, führe Dir einen chinesischen Sinnspruch zu Gemüte, mit dem mich Jacqua bekannt gemacht hat, als wir die Möglichkeiten des Pinsels erkundeten: Um zu bekommen, musst du geben; um zu ergreifen, lass los; um zu gewinnen, verliere …
Aber ich schreibe wieder einmal viel zu viel (wie Du siehst, haben mich die Schrecken dieses Morgens nicht von meinem Plaudertaschentum geheilt). Weitere schlimme Vorzeichen haben sich selbst während der Stunde angesammelt, die ich jetzt hier am Schreibtisch sitze. Das Hämmern auf dem Dach ist lauter geworden – Mr. Markwick meint, die Behörden lassen Brücken von den Faktoreien zu den Gebäuden auf der anderen Seite der Thirteen Hong Street bauen, um leichteren Zugang zu den Hongs zu haben, und auf den Dächern werden Posten aufgestellt, um die Enklave unter Bewachung zu halten… eben schaue ich auf und sehe Dutzende von Männern aus den Hongs flüchten, alles Einheimische: Putzmänner, Köche und Kulis, die bei den Fanquis gearbeitet haben. Sie tragen Bündel und Koffer auf dem Kopf und laufen wie von Furien gehetzt …
… und jetzt klopft es an meiner Tür … wahrscheinlich will Baburao schnell noch den Brief holen … kein Wort mehr … ich muss schließen.
An diesem Nachmittag war es ungewöhnlich heiß, und Nil saß mit mehreren anderen im kühlsten Raum des Hauses – dem leeren Warenlager neben der Küche – , als einer der Khidmatgars hereingestürmt kam.
»Arré, kommt und seht, was draußen los ist!«
Sie sprangen auf, stießen dabei Wasser- und Limonadengläser um und rannten zur Tür: Auf der anderen Hofseite hastete ein Heer von chinesischen Arbeitern mit Matten, Kleidern, Töpfen und Pfannen beladen zum Tor.
Unter den Ausländern, die sich regelmäßig in Kanton aufhielten, war Bahram einer der wenigen, die ihr eigenes Personal mitbrachten. Da es sehr viel billiger war, Einheimische zu beschäftigen, ließen sich die meisten anderen Kaufleute von ihren Kompradoren Köche, Putzmänner und Kulis besorgen – und die hatten sich jetzt in Bewegung gesetzt, alle auf einmal. Es war, als seien sie auf der Flucht vor
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