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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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angerufen, wenn das eigene Wohlbefinden in Gefahr ist!«
    »Bitte, Sir«, unterbrach Mr. Fearon. »Der Weiyuen wartet. Was soll ich ihm sagen?«
    Die Antwort gab Mr. Wetmore. »Sagen Sie ihm, dass es uns unmöglich ist, irgendetwas zu unternehmen, ohne den englischen Bevollmächtigten, Captain Elliott, zu konsultieren, der sich derzeit in Macao aufhält. Bitte teilen Sie dem Weiyuen mit, dass wir Captain Elliott benachrichtigt haben. Er wird in Kürze hier sein.«
    Bahram hatte so gebannt zugehört, dass er gar nicht mehr wahrgenommen hatte, was um ihn herum vorging. Als er Zadigs Stimme hörte, erschrak er.
    »Bitte, Bahram-bhai, kann ich Sie kurz sprechen?«
    »Ja, natürlich.«
    Sie zogen sich in einen ruhigen Winkel hinter einem riesigen Schrank zurück.
    »Ich muss Ihnen etwas sagen, Bahram-bhai.«
    »Ja? Was denn?«
    Zadig beugte sich näher zu ihm. »Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass Ihr Name auch auf dem Haftbefehl stand.«
    »Auf welchem Haftbefehl? Wovon reden Sie?«
    »Von dem Haftbefehl, der gegen Dent erlassen wurde. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass Ihr Name heute Morgen noch darauf stand. Sie sollten auch verhaftet werden. Ich glaube, Ihr Name ist gestrichen worden, kurz bevor der Weiyuen zu Dent gegangen ist.«
    Bahrams Augen weiteten sich ungläubig. »Aber wieso sollte man mich verhaften? Was habe ich denn getan?«
    »Die sind offenbar genau über die Vorgänge in der Kammer informiert. Sie wissen, dass Dent gegen die Auslieferung des Opiums ist. Vielleicht haben sie erfahren, dass Sie auch dagegen sind.«
    »Aber wie? Und wenn ja, weshalb haben sie dann meinen Namen gestrichen?«
    »Vielleicht haben sie geahnt, dass die Kammer Sie für Dent opfern könnte.«
    Bahram senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Aber das würde das Komitee doch bestimmt nicht zulassen, oder?«
    »Hören Sie, Bahram, Sie sind weder Amerikaner noch Engländer. Sie haben keine Kriegsschiffe hinter sich. Wenn die Kammer Sie oder Dent preisgeben müsste, was glauben Sie, auf wen die Wahl fallen würde?«
    Bahram starrte Zadig an. Sein Mund war trocken geworden, und das Sprechen fiel ihm schwer. »Was soll ich jetzt tun, Zadig? Sagen Sie’s mir!«
    »Sie gehen besser in Ihren Hong zurück, Bahram-bhai. Und vielleicht sollten Sie sich eine Weile nicht blicken lassen.«
    Bahram war nicht ganz überzeugt, aber er folgte Zadigs Rat. Er stahl sich hinaus, und auf dem Rückweg hatte er das deutliche Gefühl, dass ihn die Gardisten besonders scharf ins Auge fassten. Als er den Maidan überquerte, sagte ihm sein Instinkt, dass er beobachtet wurde. Aus allen Richtungen schienen ihm Blicke zu folgen. Er schritt aus, so schnell er konnte, und dennoch kam es ihm vor, als brauchte er für den zweiminütigen Weg eine ganze Stunde.
    Selbst die Geborgenheit seines daftars konnte ihn kaum beruhigen: Es war, als wäre die vertraute Umgebung zu einem Käfig geworden. Als er aus dem Fenster sah, tauchten wie aus dem Nichts Trupps von Gardisten auf, die seinen Blick zu erwidern schienen. Er setzte sich an seinen Sekretär und fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn sein Name nicht von dem Haftbefehl gestrichen worden wäre. Was wäre gewesen, wenn Howqua und Mowqua mit Ketten um den Hals in den Achha Hong gekommen wären und ihn angefleht hätten, sich dem Yum-chae zu stellen? Er hörte förmlich Dinyar und die anderen Parsen mit der Zunge schnalzen und in sicherer Entfernung flüstern: »Die arme Shirinbai … der Mann im Gefängnis … diese Schande … «
    In dieser Nacht verfehlte das Laudanum seine Wirkung. Er nahm zwar genug davon, um die Augen schließen zu können, aber er schlief unruhig und wachte immer wieder auf. Einmal bildete er sich ein, sein fravashi – sein Schutzgeist – habe ihn verlassen und er müsse den Rest seines Erdenweges allein zurücklegen. Er setzte sich auf. Es war stockfinster im Zimmer, selbst das Altarlicht war erloschen. Benommen erhob er sich und musste mehrere Streichhölzer anreißen, um es neu zu entzünden. Kaum hatte er wieder die Augen geschlossen – so schien es ihm zumindest – , da wurde er von einem weiteren, noch verstörenderen Traumbild heimgesucht: Er sah sich die Himmelsbrücke chinvat-pul betreten, er sah, dass ihm Meher Davar, der Engel des Gerichts, den Weg versperrte, er hörte sich lautlos die Worte sprechen: »Kâm nemon zâm, kuthrâ nemon ayem – in welches Land soll ich mich wenden, wohin soll ich gehen?«, er sah die Hand des Engels auf das Dunkel unter der

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