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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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wurden, führte an dem Gelände vorbei, auf dem das ausgelieferte Opium vernichtet wurde. Hätte Bahram das vorher gewusst, hätte er sein Kabinenfenster zugemacht. So aber drängte sich ihm der Anblick auf, noch ehe er die Augen schließen konnte: Hunderte von Männern schwärmten mit Kisten beladen über das Gelände und leerten sie in einen Tank.
    Man brauchte Bahram nicht zu sagen, was sie da machten. Ein halbes Leben lang hatte er diese Kisten aus Mangoholz über die Meere befördert, und selbst auf die Entfernung waren sie leicht zu erkennen. Als er sie jetzt vor sich sah, musste er an den Sturm im Golf von Bengalen denken, daran, wie er für die kostbaren Kisten sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, an die monatelangen Anstrengungen, die es ihn gekostet hatte, die gewaltige Fracht zusammenzubekommen, an die Hoffnungen, die er auf sie gesetzt hatte. Er wünschte, der Anblick ihrer Vernichtung wäre ihm erspart geblieben, und doch konnte er die Augen nicht von den Männern wenden, die hüfttief in dem Tank standen und das Opium stampften. Es war, als träten sie auf seinen eigenen Körper, so lange, bis er sich im Wasser auflöste und in den Fluss rann wie die dunkle Brühe, die sich aus den Schleusen ergoss.
    Seine Kehle, sein Kopf und seine Brust fingen an zu schmerzen, so sehr verlangte es ihn nach einer Pfeife, aber vor den Augen seines Personals konnte er sich unmöglich eine anzünden. Er würde warten müssen, bis sie auf der Anahita waren. Er legte sich hin und begann die Stunden zu zählen.
    Erst nach Mitternacht war er endlich allein in der Eignersuite. Er öffnete das Fenster und schloss die Tür ab, ehe er sich eine Pfeife zurechtmachte. Seine Finger zitterten fiebrig, als er den Rauch einsog, doch nach wenigen Sekunden wurden sie ruhiger, und seine verkrampften Muskeln lösten sich.
    Die Nacht war heiß und still. Seinen angarkha hatte er bereits ausgezogen, aber auch kusti und sedre waren schweißgetränkt. Er legte sie ebenfalls ab und lag dann nur in der Hose auf dem Bett.
    Draußen zeichnete sich die Silhouette der öden Höhenrücken und Landzungen Hongkongs gegen den mondhellen Himmel ab. Rings um die Anahita wimmelte es von Schiffen und kleinen Booten. Er hörte Ruder platschen und Bootsmädchen lachen und schimpfen. Ihre Stimmen klangen altvertraut, wie Echos aus der Vergangenheit, und es überraschte ihn nicht im Mindesten, als jemand seinen Namen rief: »Mister Barry! Mister Barry!«
    Er trat ans Fenster und sah, dass ein Sampan unter dem überhängenden Heck der Anahita beigedreht hatte. Hinten stand ein Junge an das Ruder gelehnt; sein Gesicht lag unter dem spitzen Sonnenhut im Dunkeln. Er flüsterte, um die Besatzung nicht auf sich aufmerksam zu machen, aber Bahram konnte ihn deutlich hören. »Komm, Mister Barry. Komm. Sie wart auf Sie, drin sie wart auf Sie.« Er zeigte auf den überdachten Teil des Bootes.
    Das Fenster der Eignersuite war so gebaut, dass es im Ernstfall, bei einem Feuer etwa, auch als Notausstieg dienen konnte. Darunter lag in einem Kasten mit gläserner Vorderwand eine Strickleiter. Bahram nahm sie heraus, hakte sie am Fenstersims ein und ließ sie über die Bordwand hinab. Als der Junge die unterste Sprosse gefasst hatte, schwang Bahram ein Bein über den Sims und kletterte ganz vorsichtig Sprosse für Sprosse hinunter.
    »Komm, Mister Barry. Ha-loy!«
    Jetzt spürte Bahram den Sampan unter seinen Füßen und ließ die Strickleiter los.
    Der Junge zeigte auf die Kabine. »Da Mister Barry. Da sie wart auf Sie.«
    Bahram duckte sich unter die Bambusmatten, und im selben Augenblick strich eine Hand über seine nackte Brust. Er erkannte die rauen, schwieligen Finger sofort wieder.
    »Chi-mei?« Er hörte sie kichern und streckte die Arme ins Dunkel. »Chi-mei! Komm!«
    Später krochen sie wie früher so oft zum Bug vor, legten sich auf den Bauch und betrachteten das schimmernde Spiegelbild des Mondes im Wasser. So hell schien er, dass sein Abglanz auch Chi-meis Gesicht erleuchtete. Es war, als schaute sie von unterhalb der Wasserfläche zu ihm auf und lockte ihn mit dem Finger.
    »Komm, Mister Barry. Komm. Ha-loy!«
    Er lächelte. »Ja, Chi-mei, ich komme. Es ist Zeit.«
    Das Wasser war so warm, dass es ihm schien, als seien sie noch im Boot und lägen einander in den Armen.
    Die baumelnde Strickleiter zog Paulettes Aufmerksamkeit auf sich, kurz nachdem sie wie jeden Morgen über die Hänge der Insel zu dem Stück Land hinaufgestiegen war, das Fitcher für seine

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