Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
Vom Netzwerk:
auszeichnete, war jedoch nichts von alldem: Es war das viele Grün auf ihren Decks. Pflanzen waren natürlich nichts Ungewöhnliches auf Segelschiffen: Fast alle hatten einige an Bord, zur Ernährung, als Schmuck oder einfach nur, weil ein wenig Grün auf hoher See immer ein willkommener Anblick war. Der Pflanzenbestand an Bord der Redruth ging jedoch weit über die üblichen fünf bis zehn Blumentöpfe hinaus: Ihre Decks waren auch mit einer großen Zahl »Ward’scher Kästen« bestückt. Dabei handelte es sich um eine neue Erfindung: Es waren verglaste Kästen mit verstellbaren Seiten, gewissermaßen Miniaturgewächshäuser. Sie machten den Transport von Pflanzen über die Weltmeere erheblich einfacher und sicherer. Die Redruth hatte Dutzende davon an Bord, allesamt sicher vertäut.
    Der grünste Teil des Schiffs war das Achterdeck: Hier fanden sich an der Reling und um den Fuß des Besanmasts herum ganze Reihen von Töpfen und Kästen. Als zusätzlichen Schutz für die Pflanzen hatte Fitcher eine sinnreiche Vorrichtung aus Markisen konstruiert, die nach Belieben verstellt werden konnten, um den Pflanzen Schatten oder Sonne zu bieten oder sie vor schlechtem Wetter zu schützen. Bei Regen dienten die Markisen als Auffangbehälter: Wegen der vielen Pflanzen brauchte die Redruth mehr Süßwasser als andere Schiffe, und Fitcher wollte keinen Tropfen davon vergeuden.
    Die Redruth verfügte auch über einzigartige Verfahren zur Verwertung von Abfällen: Küchenabfälle wurden nicht einfach über Bord gekippt, sondern alles, was noch als Pflanzennahrung dienen konnte, wurde sorgfältig von den Resten des Pökelfleischs getrennt, von dem sich die Besatzung hauptsächlich ernährte. Teeblätter, Kaffeesatz, Reis, Stücke von alten Keksen und Schiffszwieback – all das wurde in ein riesiges Fass geschüttet, das über dem Heck aufgehängt war. Der Behälter war mit einem gut schließenden, wasserdichten Deckel versehen, doch an heißen, windstillen Tagen war der faulige Geruch manchmal so stark, dass es Proteste von Nachbarschiffen setzte.
    Mit den vielen Grünpflanzen und den blinkenden Glaskästen bot die Redruth zwangsläufig einen Anblick, der manchen zu spöttischen Bemerkungen veranlasste: Nicht selten erkundigten sich Leute im Hafen scheinheilig danach, ob es sich um eines der berühmten »Narrenschiffe« handle, die angeblich Geistesgestörte auf entlegene Inseln beförderten.
    Tatsächlich wirkte das Äußere der Brigg, genauso wie das ihres Eigners, etwas exzentrisch, doch Paulette merkte schon bald, dass die Redruth sonst nichts Abstruses an sich hatte. Vielmehr war sie bis ins kleinste Detail auf das doppelte Ziel Sparsamkeit und Profit hin ausgelegt. So erforderte beispielsweise ihre grüne Fracht keinen nennenswerten Einsatz von Kapital, konnte aber, wenn alles gut ging, astronomische Gewinne abwerfen. Gleichzeitig brauchten Kapitän und Besatzung weder Diebstahl noch Piraterie zu befürchten, weil kaum jemand wusste, wie wertvoll die Ladung war.
    Sie hatte auch nichts Beliebiges oder Zufälliges. Alle Pflanzen waren von Fitcher eigenhändig ausgesucht worden. Die meisten stammten aus Nord- und Südamerika, waren erst vor Kurzem nach Europa eingeführt worden und deshalb in China höchstwahrscheinlich noch unbekannt. Dazu gehörten unter anderem Löwenmäulchen, Lobelien und Georginen, die Alexander von Humboldt aus Mexiko mitgebracht hatte. Ebenfalls aus Mexiko stammten die Orangenblume und eine wunderschöne neue Fuchsienart. Aus dem amerikanischen Nordwesten kamen Gaultheria shallon, die Shallon-Scheinbeere, eine Zier- und Heilpflanze, und eine prachtvolle neue Konifere, beide von David Douglas eingeführt; Fitcher war überzeugt, dass Letztere den Chinesen, die Nadelbäume liebten, besonders zusagen würde. Auch Sträucher waren darunter: Vor allem die Blut-Johannisbeere war eine Spezies, in die Fitcher sehr große Hoffnungen setzte. Allein wegen dieser Pflanze habe sich Mr. Douglas’ erste Amerika-Expedition schon bezahlt gemacht, erklärte er Paulette. Zum Glück sei bisher noch niemand auf die Idee gekommen, sie nach China einzuführen.
    Fitcher beabsichtigte, die amerikanischen Pflanzen gegen chinesische Arten einzutauschen, die im Westen noch unbekannt waren. Eine geniale Idee, fand Paulette, doch Fitcher bestritt energisch, dass sie von ihm stamme. »Haben Sie schon einmal von Père d’Incarville gehört?«
    Paulette überlegte kurz und sagte: »Ist das vielleicht der, nach dem die Blumen der

Weitere Kostenlose Bücher