Der rauchblaue Fluss (German Edition)
Sie mit Ihrer Frau?«
»Zwei. Einen Jungen und ein Mädchen: Alina und Sargis.«
Zadig wurde nachdenklich, während er die Namen aussprach. Er stützte die Ellbogen auf die Reling und legte das Kinn auf die Faust: »Sagen Sie mir, Bahram-bhai, denken Sie manchmal daran, Ihre Familie – Ihre legitime Familie – zu verlassen, damit Sie mit Ihrer anderen Familie zusammenleben können, also mit Chi-mei und dem Kind, das sie Ihnen geschenkt hat?«
Die Frage erschreckte Bahram. »Nein, nie«, sagte er. »Warum fragen Sie? Haben Sie schon einmal daran gedacht?«
»Ja, allerdings. Ehrlich gesagt denke ich ständig daran. Sie haben nur mich – und meine andere Familie, die in Kairo, die haben alles. Mit der Zeit fällt es mir immer schwerer, von denen getrennt zu sein, die mich wirklich brauchen. Es bricht mir das Herz, weit weg von ihnen zu sein.«
Sein ernster Tonfall überraschte Bahram; er konnte sich nicht vorstellen, dass ein verantwortungsbewusster Geschäftsmann ernsthaft daran dachte, alle Verbindungen zu seiner Familie und seiner Heimatstadt abzubrechen: In seiner eigenen Welt hätte ein solcher Schritt unweigerlich nicht nur die gesellschaftliche Ächtung, sondern auch den finanziellen Ruin nach sich gezogen. Es erstaunte ihn zutiefst, dass ein offenbar grundvernünftiger Mensch, ein Familienvater, sich zu einem so kindischen Gedanken bekannte.
»Sie wissen, was man sagt, Zadig Bey«, sagte er neckend. »Kein vernünftiger Mann lässt zu, dass sein lathi seinen Kopf beherrscht.«
»Das ist es nicht«, sagte Zadig.
»Was dann? Ist es eine Frage von – wie sagt man? – , von ishq, ›Liebe‹?«
»Nennen Sie es ishq, nennen Sie es pyar, nennen Sie es, wie Sie wollen. Es ist in meinem Herzen. Ist es bei Ihnen nicht genauso?«
Bahram überlegte eine Weile, dann schüttelte er den Kopf. »Nein«, sagte er. »Bei mir und Chi-mei ist es nicht Liebe. Wir nennen es lob-pidgin, und das gefällt mir besser. Das andere – ich wüsste nicht, wie ich es ihr gegenüber ausdrücken sollte. Und auch sie könnte es nicht benennen. Wenn man kein Wort dafür hat, wie soll man dann merken, dass man es fühlt?«
Zadig bedachte ihn mit einem seiner langen, taxierenden Blicke.
»Ich bedaure Sie, mein Freund«, sagte er. »Am Ende ist es das Einzige, was wir haben.«
»Das Einzige, was wir haben?« Bahram brach in Gelächter aus. »Sie sind nicht bei Trost, Zadig Bey. Sie nehmen mich auf den Arm, stimmt’s?«
»Nein, tu ich nicht, Bahram-bhai.«
»Alsdann, Zadig Bey«, sagte Bahram leichthin. »So gesehen werden Sie Ihre erste Frau verlassen müssen, nicht wahr?«
Zadig seufzte. »Ja, eines Tages werde ich das tun müssen.«
Weder damals noch später glaubte Bahram, dass Zadig es tatsächlich tun würde. Doch er tat es, ein paar Jahre später. Er überschrieb seiner anderen Familie, der in Kairo, eine große Summe Geldes und erwarb ein geräumiges Haus im Zentrum von Colombo. Bahram besuchte ihn dort bald darauf. Seine Geliebte war eine matronenhafte Frau holländischer Abstammung, und soweit er es beurteilen konnte, waren die Kinder der beiden glücklich, gesund und wohlerzogen.
Im Jahr darauf machte Bahram Zadig in Kanton mit Chi-mei und Freddy bekannt. Chi-mei setzte ihnen ein schönes Essen vor, und Freddy, noch ein Kleinkind, bezauberte Zadig. Von da an besuchte Zadig die beiden jedes Mal, wenn er in China war. Nach seiner Rückkehr schrieb er Bahram dann oft aus Colombo, wie es ihnen ging.
Aus einem der Briefe erfuhr Bahram schließlich, dass Freddy verschwunden und Chi-mei gestorben war.
Am Ende war es die Redruth , die Paulette die Entscheidung abnahm: Die Brigg übte einen Zauber aus, der sämtliche Zweifel, die sie noch über Fitchers Angebot hegen mochte, hinfällig machte.
Wenn Schiffe nach dem Bild ihrer Eigner gebaut werden konnten, dann war es keine Frage, wem die Redruth gehörte – sie war wie eine Fortsetzung von Fitchers innerstem Wesen. Wie er war auch die Redruth schlank und kantig, mit scharfen, aufwärts geschwungenen Linien. Ihr Bugspriet zeigte sogar das »Zittern und Zucken«, das auf seltsame Weise an die Stirn ihres Besitzers erinnerte. Selbst das Geräusch des Windes in der Takelage klang auf der Redruth anders als auf jedem anderen Schiff: Wenn Schiffe sprechen könnten, so stellte Paulette sich vor, dann würde sich die Redruth mit einer Stimme artikulieren, die an Fitchers breiten Akzent und seine pfeifenden Vokale erinnerte.
Was die Redruth vor allen anderen Schiffen
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