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Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Der rauchblaue Fluss (German Edition)

Titel: Der rauchblaue Fluss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Gattung Incarvillea benannt sind? Die mit den schönen Trompetenblüten?«
    »Genau der«, sagte Fitcher.
    D’Incarville sei ein Jesuit, erzählte Fitcher, der mehrere Jahre am Kaiserhof in Peking zugebracht habe. Wie alle Ausländer war auch er in seiner Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt, er durfte keine Pflanzen außerhalb der Stadt sammeln und hatte auch keinen Zugang zu den kaiserlichen Gärten. Um das zu ändern, schlug er einen botanischen Tausch vor: In einem Brief nach Frankreich bat er um die Zusendung europäischer Blumen, und seine Korrespondenten schickten ihm Tulpen, Kornblumen und Akeleien. Doch keine davon weckte die Bewunderung des Kaisers – er entschied sich stattdessen für eine schlichte Mimose.
    »Warum dann nicht auch für etwas von dem, was wir hier auf der Redruth haben?«
    Dass die Redruth so funktionierte, strafte ihr Aussehen Lügen, denn sie war weder die Schöpfung eines verrückten Wissenschaftlers noch die eines verblendeten Träumers. Sie war tatsächlich etwas viel Einfacheres: das Werk eines fleißigen Gärtners – nicht das eines spekulativen Denkers, sondern das eines praktischen Problemlösers, eines Mannes, der in der Natur eine Ansammlung von Rätseln sah, von denen sich viele, wenn man die richtige Lösung fand, als höchst lukrativ erweisen konnten.
    Solches Denken war Paulette völlig neu. Für ihren Vater, von dem sie alles gelernt hatte, was sie über Botanik wusste, war die Liebe zur Natur eine Art Religion gewesen, eine Form spirituellen Strebens: Er hatte geglaubt, wenn die Menschen sich bemühten, die innere Lebenskraft jeder Spezies zu verstehen, könnten sie über die profane irdische Welt und deren künstliche Unterteilungen hinausgelangen. Wenn die Botanik die Heilige Schrift dieser Religion war, dann war die Gartenbaukunst ihre Form der Verehrung, des Gebets. Die Pflege eines Gartens erschöpfte sich für Pierre Lambert nicht darin, Samen zu setzen und Äste zu beschneiden, sondern sie war für ihn eine spirituelle Disziplin, ein Mittel der Verständigung mit anderen Lebensformen, die notwendigerweise stumm und nur zu verstehen waren, wenn man ihre eigenen Ausdrucksformen sorgfältig studierte: die Sprachen von Blüte, Wachstum und Verfall. Nur so, hatte er Paulette gelehrt, konnten Menschen die Lebenskräfte begreifen, die den Geist der Erde ausmachten.
    Fitchers Weltanschauung hätte nicht gegensätzlicher sein können. Dennoch schien es Paulette, als sei er unbegreiflicherweise mehr ein Teil der natürlichen Ordnung, als ihr Vater es je gewesen war. Wie ein knorriger alter Baum, der auf einem steinigen Abhang wächst, war Fitcher unerschütterlich in seiner Entschlossenheit, der Welt einen Lebensunterhalt abzuringen. Damit war er reich geworden, und das war auch der Grund, warum seine Reichtümer ihm so wenig bedeuteten; er hatte keine Verwendung für Luxusgüter, und sein Wohlstand gereichte ihm nicht zum Trost, sondern machte ihm Angst, war ihm eine Last, wie die Säcke mit Kohlköpfen, die er für Notzeiten im Keller gehortet hatte.
    Als sie ihn besser kennenlernte, ging Paulette auf, dass Fitchers Ideen und Haltungen in seiner Erziehung wurzelten. Als Sohn eines Gemüsehändlers in Cornwall war er in einem windgepeitschten Häuschen in den Außenbezirken von Falmouth zur Welt gekommen, in Sichtweite des Meeres. Sein Vater war einst Matrose auf einem jener schnellen, eleganten Frachtschoner gewesen, die die Obstgärten des Mittelmeerraums mit den Märkten Großbritanniens verbanden, doch ein Unfall und ein verkrüppelter rechter Arm hatten ihn gezwungen, sich einen anderen Broterwerb zu suchen: Er hatte sich auf das Verhökern von Obst und Gemüse verlegt, das er zum Teil von seinen ehemaligen Schiffskameraden bezog. Die Penroses hatten fünf Kinder, die angesichts der ärmlichen Verhältnisse, in denen die Familie lebte, nur unregelmäßig die Schule besuchen konnten. Wenn die Jungen nicht ihrem Vater halfen, wurde von ihnen erwartet, dass sie sich mit der Arbeit auf den Bauernhöfen oder in den Gärten der Umgebung ein paar Pennys verdienten. So fiel der junge Fitcher dem Gemeindearzt auf, der in seinen freien Stunden ein begeisterter Naturforscher war. Als er bemerkte, dass der Junge sich für Pflanzen interessierte, führte er ihn in die Kunst des Botanisierens ein und gab ihm Bücher zu lesen. Auf diese Weise fand der Junge Gefallen daran, sich weiterzubilden, eine Eigenschaft, die ihm wiederum zustattenkam, als er auf einem Frachtschoner

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