Der Rauchsalon
irgendwo
hingegangen wäre, wo er seinen neuen Kummerbund vorführen konnte, als
Alternative vorschlug, sich in der Charles Street in ein Café zu setzen,
stellte sie sich wieder der harten Realität und akzeptierte schließlich.
Sarah ließ Mariposa und Charles in der
Küche zurück, wo sie ihre traute Zweisamkeit genossen, und ging nach oben, um
sich mit ein oder zwei Illustrationen abzuquälen. Sie wählte willkürlich ein
Foto aus und begann eine detaillierte Skizze des Schnappverschlusses. Die
winzigen Einzelheiten exakt wiederzugeben ermüdete ihre Augen, also begann sie,
selbst welche zu erfinden, so wie Mr. Bittersohns Mutter nach Aussage ihres
Sohnes neue englische Wörter erfand. Was machte es schon aus? Die Skizze war
sowieso nur als Dekoration gedacht.
Seit ihrer fatalen Skizze von der
Familiengruft hatte Sarah nicht mehr gezeichnet. Sie mußte allen Mut
zusammennehmen, um überhaupt den Bleistift in die Hand zu nehmen. Als sie
jedoch einmal dabei war, fand sie wieder die alte Freude an ihrer Arbeit, und
bald war aus dem Verschluß ein Entwurf für Ohrringe geworden, die perfekt zu
Granny Kays Eisvogelbrosche paßten.
Eine wunderbare Idee! Sie würde sie
zwar wahrscheinlich nie besitzen, aber allein die Vorstellung machte schon
Spaß. Sie drehte das Radio an, das sie aus der Bibliothek geholt hatte, und
stellte fest, daß WXHR gerade César Francks Sinfonie in d-Moll spielte,
ein Stück, das sie liebte und seit langem nicht mehr gehört hatte. Plötzlich
stellte sie fest, daß sie zum ersten Mal seit Alexanders Tod beinahe glücklich
war.
Sofort fühlte sie sich schuldig. Wie
konnte sie sich gut fühlen, wo doch schon wieder ein Mord passiert war und Dolph
möglicherweise damit zu tun hatte? Dann wurde sie wütend. Warum sollte sie sich
eigentlich nicht gut fühlen? Barnwell Quiffens Gemeinheiten und Dolphs
ungezügeltes Temperament waren schließlich nicht ihre Schuld. Und wie konnte
sie hundertprozentig sicher sein, daß Miss Mary Smith sich nicht eine amüsante
kleine Phantasiegeschichte ausgedacht hatte, wie sie es gerade selbst bei den
Ohrringen gemacht hatte?
Aber die Freude war ihr wieder einmal
vergangen. Die Zeichnung war fertig, das Konzert war vorbei. Sarah knipste das
Radio aus und machte sich für die Nacht zurecht. Sie nahm zwei Aspirin und
versuchte, ein wenig Schopenhauer zu lesen. Aber selbst sein trockener Stil
konnte sie erst nach längerer Zeit zum Einschlafen verleiten.
Als sie wieder aufwachte, fühlte sie
sich ein bißchen durcheinander, doch für solche Gefühle hatte sie jetzt keine
Zeit. Aufgrund der unterschiedlichen Terminpläne ihrer Pensionsgäste gab es ein
Frühstücksbuffet im englischen Stil, wobei die Gerichte auf der Anrichte
standen, sie selbst die Kaffeemaschine überwachte und Mariposa dekorativ mit
ihren orangefarbenen Bändern hin- und herhuschte, um neue Brotscheiben in den
Toaster zu stecken oder gebrauchte Teller und Tassen abzuräumen.
Professor Ormsby kam immer als erster
herunter und Mrs. Sorpende meistens als letzte. Nachdem die würdevolle Matrone
alles verspeist hatte, was von der vorangegangenen Verwüstung verschont
geblieben war, zogen sich Sarah und Mariposa in die Küche zurück, um die
geschäftliche Seite zu besprechen.
Da sie sonst immer vollauf damit
beschäftigt waren, das Haus in Ordnung zu halten und sämtliche Gäste
zufriedenzustellen, war dies die einzige Gelegenheit für ein richtiges
Gespräch. Obwohl sie vor den anderen stets den passenden Abstand zwischen
Hausherrin und Angestellter wahrten, waren sie in Wirklichkeit echte
Kampfgenossinnen in ihrem privaten Krieg gegen die Armut. Mariposa fungierte
ebenso oft als stellvertretender General wie Sarah als Tellerwäscherin. In
vielen Punkten war sie die Geschäftstüchtigere von beiden, war ungewöhnlich
praktisch eingestellt, besaß eine ungeheuer originelle Art und drückte häufig
ihre Gedanken äußerst amüsant aus.
Heute war Mariposa allerdings ganz und
gar nicht zu Späßen aufgelegt. Während Sarah die letzten Eireste von einer
Gabel kratzte, sagte sie: »Ich muß etwas mit Ihnen besprechen.«
»Dann legen Sie ruhig los. Würden Sie
mir bitte eben das Silberputzzeug reichen? Um was geht es denn?«
»Es handelt sich um Mrs. Sorpende. Ich
mache mir Sorgen um sie.«
»Nach dem, was sie heute zum Frühstück
verputzt hat? Doch sicher nicht wegen ihrer Gesundheit? Ich habe wirklich keine
Ahnung, wie diese Frau es schafft, ihr Gewicht zu halten.«
»Sie läßt das Mittagessen
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