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Der Rauchsalon

Der Rauchsalon

Titel: Der Rauchsalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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besonderen Wert hatte, und
vor allem jeden Hinweis darauf, wer der Mann mit den Stühlen gewesen war,
vorausgesetzt, daß er überhaupt existierte. Die Schwester verdrängte dies alles
und las die Papiere erst gar nicht, sondern stapelte sie nur fein säuberlich
und wachste dann den Schreibtisch, machte sich Sorgen wegen des Hochamts,
stellte Überlegungen an, ob Wumps einen grauen Sarg oder einen Mahagonisarg
vorgezogen hätte und welche Blumen sie denn nun aussuchen sollte. Sarah spielte
mit dem Gedanken, ihr vorzuschlagen, eine Ukulele-Band einzufliegen und einen
Hibiskuskranz aus Hawaii besorgen zu lassen, weil ihr Miss Hartler allmählich
ganz gehörig auf die Nerven ging, was sie jedoch leider nicht in die Tat
umsetzen konnte, da sie mit einem allzu liebenswürdigen Naturell geschlagen
war.
    Am späten Nachmittag gelang es ihr
endlich, Miss Hartler in den frisch gereinigten Rauchsalon zu bugsieren, um
sich dort auszuruhen, und sie eilte selbst in die Küche, wo sie versuchte, die
Arbeit des ganzen Tages in zwei Stunden zu erledigen. Onkel Jem rief an, um sie
zu fragen, ob er vorbeikommen sollte, und sie schrie auf: »Nein, um Himmels
willen bloß das nicht!« Dolph rief erst gar nicht an, sondern erschien einfach,
da er voraussetzte, daß seine Anwesenheit bei einer derart ernsten Sachlage
unbedingt nötig war.
    Dafür war ihm Sarah sogar dankbar. Miss
Hartler kannte Dolph, und seine würdevolle Feierlichkeit traf bei ihr den
richtigen Ton, als sie schließlich aus ihrem Refugium herauskam, in einem
hochgeschlossenen, langärmeligen Gewand aus irgendeinem glatten Stoff in einer
undefinierbaren dunklen Farbe, das den schwachen Geruch von Mottenkugeln und
Schimmel verbreitete. Während Dolph gerade genau die richtigen Sätze von sich
gab, konnte Sarah den Gedanken nicht loswerden, daß er, falls er wirklich durch
irgendeinen aberwitzigen Zufall der Grund von William Hartlers Dahinscheiden
gewesen war, entweder eine bemerkenswerte Selbstkontrolle besaß oder einen Grad
an Verrücktheit erreicht hatte, der sogar Großonkel Frederick verwehrt
geblieben war. Sie bemerkte, daß sie ihn beobachtete wie eine Maus einen
zusammengekauerten Kater. War er gefährlich, oder schlief er bloß? Was würde
sie tun, wenn sie feststellen mußte, daß sich ihr wichtigtuerischer Cousin in
einen wahnsinnigen Verbrecher verwandelt hatte? Höchstwahrscheinlich selbst
verrückt werden.
    Die Pensionsgäste versammelten sich
allmählich. Mrs. Sorpende kam als erste, und Sarah stellte interessiert fest,
daß sie aus Respekt vor dem lieben Verstorbenen ihr tief ausgeschnittenes
Dinnergewand mit einem eleganten Jabot aus prächtigem elfenbeinfarbenen Satin
ausgestattet hatte, der möglicherweise noch vor kurzem die Beine von Tante
Carolines French Knickers gewesen war. Die Wirkung war derart überwältigend,
daß Dolph urplötzlich keine einzige Platitüde über das Ableben werter
Familienangehöriger mehr einfallen wollte und er auf das Sofa zusegelte, auf
dem Mrs. Sorpende immer am liebsten saß.
    Miss Hartler versank daraufhin in
sanfte Melancholie. Sarah stellte ihr die anderen Pensionsgäste vor, sobald sie
eintrafen, wobei jeder sein tiefes Mitgefühl aussprach und sich dann
niederließ, um wie gewöhnlich die entspannte Stimmung vor dem Essen zu
genießen.
    Es war allerdings nicht gerade einfach,
ein unschuldiges Glas Sherry als Aperitif zu genießen, während Miss Hartler
jedesmal, wenn Charles mit dem Tablett in ihre Nähe kam, wie vor einer
angreifenden Kobra zurückzuckte.
    Mr. Porter-Smiths gutgemeinter
Vorschlag, doch mit ihm ein Gläschen zu trinken, da medizinische Untersuchungen
ergeben hätten, daß gemäßigter Alkoholgenuß vor den Mahlzeiten der Gesundheit
sehr zuträglich sei, bescherte ihm lediglich ein kühles »Vielen Dank, aber ich
rühre grundsätzlich keinen Tropfen Alkohol an«.
    Die Versuche von Miss LaValliere, Miss
Hartler etwas mit dem Bericht aufzumuntern, daß die alte Mrs. LaValliere vor
kurzem von einem Anfall von Gürtelrose heimgesucht worden war, riefen zwar
zunächst eine Reaktion bei ihr hervor, da sie einst oft Seite an Seite mit Miss
LaVallieres Großmutter den Altar geschmückt hatte, doch sowohl die Enkelin als
auch das Thema waren schnell wieder erschöpft.
    Professor Ormsby schenkte sich jeden
Versuch. Nachdem er gezwungenermaßen ihre Hand geschüttelt und ein paar
unverständliche Kondolenzbezeugungen geknurrt hatte, nahm er seinen Platz auf
dem anderen Ende von Mrs. Sorpendes Sofa ein und

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