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Der Rauchsalon

Der Rauchsalon

Titel: Der Rauchsalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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bedachte Dolph über ihren
Jabot hinweg mit wütenden Blicken. Mr. Bittersohn, der wie üblich als letzter
eintraf, war mitfühlender. Er zog einen Stuhl neben Miss Hartler, schüttelte
dankend den Kopf, als Charles ihm einen Aperitif anbot, und unterhielt sich mit
ihr mit leiser Stimme.
    Zunächst schien Miss Hartler darauf
anzusprechen, doch plötzlich wurde sie — ohne einen für Sarah ersichtlichen
Grund — sehr einsilbig und schließlich so abweisend, daß es eine Erleichterung
war, als Charles ankündigte, das Essen sei fertig, und Miss Hartler sagte, daß
sie es nicht über sich bringen könne zu essen, und darum bat, eine Kleinigkeit
auf dem Tablett auf ihr Zimmer gebracht zu bekommen.
    Das bedeutete zusätzliche Arbeit für
das Personal, aber Sarah machte sich jetzt darüber keine Gedanken. Sie war so
erleichtert, aus der heiklen Situation befreit zu werden, daß sie nicht einmal
versuchte, das Thema zu wechseln, als Mr. Porter-Smith zu erklären begann, was
die Einkommensteuern für sie bedeuteten, obwohl sie für sie keinerlei Bedeutung
hatten, da sie kein Einkommen, sondern nur Verluste hatte.
    Allmählich entspannte man sich wieder.
Wenn Dolph anwesend war, war die Atmosphäre zwar zwangsläufig etwas steif, aber
nachdem er seiner Pflicht bei Miss Hartler Genüge getan hatte, neben Mrs.
Sorpende sitzen durfte und ein leckeres Abendessen vor sich auf dem Tisch
hatte, wurde er so unterhaltsam, wie er es innerhalb seiner Möglichkeiten
werden konnte.
    Mr. Bittersohn schien mit seinen
Gedanken offenbar ganz woanders zu sein. Er fühlte sich doch wohl nicht etwa
beleidigt durch Miss Hartlers plötzliches frostiges Benehmen in der Bibliothek?
Sie war doch nur eine ältere Dame, die gerade erst von einem Transatlantikflug
zurückgekommen war und ihren geliebten Bruder ermordet und sich selbst in einer
Leichenhalle wiedergefunden hatte, um seinen zerschlagenen Leichnam zu
identifizieren. Man konnte also schwerlich erwarten, daß sie das alles für
längere Zeit einfach überspielen konnte. Sarah ließ eine diskrete Bemerkung in
diesem Sinne fallen, und Bittersohn schenkte ihr daraufhin einen Blick, der sie
ziemlich verwirrte.
    Nach dem Essen bat sie Charles, den
Rest von Mr. Hartlers Benediktiner zu servieren. Sie wußte selbst nicht genau,
warum. War es zum Andenken an den Verstorbenen, oder wollte sie so schnell wie
möglich alles loswerden, was den Hartlers gehörte? Jedenfalls tranken sie alle
davon, dann verkündete Dolph in pompösem Ton, daß er unbedingt zu einem
wichtigen Treffen müsse, für das er sich bereits verspätet habe, und
verschwand. Mrs. Sorpende ging nach oben, vielleicht wollte sie ein anderes
Stück Wäschegarnitur umgestalten. Professor Ormsby mußte Arbeiten korrigieren.
Mr. Bittersohn sagte, er müsse an seinem Buch arbeiten. Miss LaValliere bat in
ihrer Verzweiflung Mr. Porter-Smith, ihr bei den Hausaufgaben für Buchhaltung
zu helfen.
    Sarah sah zu, wie Charles die leeren
Likörgläser einsammelte, und beschloß, noch einmal nach Miss Hartler zu sehen.
Sie traf Wumps’ Schwester bereits im Nachthemd, was allerdings nicht hieß, daß
sie spärlich bekleidet war, da Miss Hartler jene Art von Nachtgewändern trug,
die R. H. Stearns für diejenigen Ladies in Boston zu führen pflegte, die
besonderen Wert auf Schamgefühl legten. Jedenfalls hatte Miss Hartler die
Unmengen an Baumwolle noch mit mehreren Lagen Flanell überdeckt, als sie ihr
die Tür öffnete.
    »Ich weiß, daß Sie erschöpft sind«,
sagte Sarah zu ihr, »deshalb wollte ich auch nur ganz kurz vorbeischauen. Ich
möchte nur sicher sein, daß Sie auch alles haben, was Sie für die Nacht
brauchen.«
    »Ach, liebe Sarah! Sie werden Ihrer
Tante Marguerite mit jedem Tag ähnlicher.«
    Sarah zuckte zusammen. Eine Marguerite
auf der Welt war für sie schon eine zuviel. Allerdings war es recht
unwahrscheinlich, daß sie sich ähnelten, da sie nicht einmal miteinander verwandt
waren. Entweder Miss Hartler halluzinierte, oder aber sie versuchte, ihr ein
Kompliment zu machen. Man mußte wohl nachsichtig sein.
    »Setzen Sie sich doch einen Moment, und
sprechen Sie mit mir«, fuhr Miss Hartler fort. »Ich fühle mich so — so schrecklich
einsam.«
    »Aber natürlich«, sagte Sarah, »das ist
ganz normal. Darüber kommt man aber früher oder später hinweg, das sagt man mir
jedenfalls immer.«
    »Ach ja. Wir müssen uns in unserer
Trauer gegenseitig beistehen und einander aufrichten. Ich sehe ja, wie tapfer
Sie versuchen, damit

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