Der Rauchsalon
»So, wenn Sie hier nichts mehr für
mich zu tun haben, werde ich kurz bei Miss Hartler vorbeischauen und fragen, ob
sie Hilfe braucht beim Umräumen ihres Iolani-Palastes. Ich vermute, daß der
Aufruhr in der Bibliothek sich inzwischen gelegt hat.«
»Oh ja, sie haben sich sofort verzogen,
als sie entdeckten, daß ich wirklich Tee meinte. Es wäre schrecklich nett von
Ihnen, Miss Hartler zu helfen, das heißt, wenn sie es Ihnen erlaubt. Ich habe
es ihr schon angeboten, und sie hat sich aufgeführt wie Sarah Bernhardt, weil
sie auf keinen Fall irgend jemand an die kostbare Hinterlassenschaft ihres
geliebten Wumps heranlassen will, aber vielleicht ist sie Ihnen günstiger
gesonnen.«
»Warum sollte sie?«
Ȁltere unverheiratete Damen neigen
dazu, freundlichen jungen Herren wohlwollend entgegenzutreten, meinen Sie
nicht? Außerdem hat sie gestern angefangen, mich über meine Pensionsgäste
auszufragen, und ich habe ihr erklärt, daß Ihre Familie und wir Nachbarn in
Ireson’s Landing sind und daß Ihre Mutter grundsätzlich keine Besuche macht,
aber daß Sie keinesfalls ein Snob sind. Könnten Sie versuchen, eine
gebieterische Haltung mit einem edlen Auftreten zu verbinden?«
»Sie können jedenfalls darauf wetten,
daß ich mich der alten Fledermaus gegenüber nicht allzu herablassend nähern
werde.« Und mit diesem wohlwollenden Versprechen entschwand Bittersohn.
Kapitel 19
N ach weniger als drei Minuten war
Bittersohn wieder in der Küche. »Miss Hartler benötigt keine Hilfe, vielen
Dank. Sie fragt sich, ob es zu viel verlangt wäre, Mrs. Kelling daran zu
erinnern, daß sie ihr versprochen habe, ihr ein Tablett aufs Zimmer zu bringen,
bevor sie fortgehen muß, um ihre traurige Pflicht zu erfüllen. Ein Glas
Preiselbeersaft und ein pochiertes Ei mit Toast würden genügen. Es sei nicht
nötig, daß Ihr Butler ein Taxi ruft, da die liebe Marguerite bereits
freundlicherweise angeboten habe, ihre Limousine zu schicken. Sie würde es als
großen Trost empfinden, wenn auch jemand von den ehemaligen Mitbewohnern ihres
geliebten William heute abend beim Bestattungsinstitut vorbeikäme, obwohl sie
annimmt, daß sie da vielleicht zuviel erwartet, da wir, wie ihr die liebe Mrs.
Kelling freundlicherweise erklärt hat, ihn alle nur sehr kurze Zeit gekannt
haben. Ich nehme an, das bedeutet soviel wie: Entweder ihr kommt alle, oder es
passiert was, nicht?«
»Es bedeutet: Tun Sie das, was Ihnen
gefällt, jedenfalls soweit es mich betrifft«, erwiderte Sarah. »Natürlich werde
ich selbst hingehen, und ich glaube, Mrs. Sorpende wird mich sicher gern
begleiten. Und es würde auch Jennifer LaValliere nicht schaden, dort zu
erscheinen, weil Miss Hartler immerhin ihre Großmutter kennt, die zweifellos
ebenfalls anwesend sein wird. Und wenn sie geht, wird ihr vielleicht auch Mr.
Porter-Smith folgen. Allerdings bin ich ziemlich sicher, daß Professor Ormsby
nicht mitkommen wird. Ich bezweifle sogar, daß er Mr. Hartlers Gegenwart
überhaupt jemals bemerkt hat, ganz zu schweigen von seinem Ableben.«
»Ormsby tendiert dazu, etwas eingleisig
zu denken«, stimmte ihr Bittersohn zu. »Oder sollte man eher zweigleisig sagen?
Entschuldigen Sie bitte, daß war eine plumpe und unhöfliche Bemerkung. Haben
Sie eben wirklich sagen wollen, daß sie ihren Lebensunterhalt damit verdient?
Ich meine damit, daß sie in Teeblättern herumstochert?«
»Ich weiß nicht, ob sie damit ihren
Lebensunterhalt verdient, aber das hat sie jedenfalls heute morgen gemacht, und
offenbar arbeitet sie dort schon seit geraumer Zeit, wie Miss Smith mir erzählt
hat. Wir hatten ein kleines Tête-à-tête an einer der Mülltonnen auf dem
Common.«
Sarah berichtete ihm kurz von dem
Abenteuer, das sie am Morgen gehabt hatte, und von ihren merkwürdigen
Entdeckungen. »Hätten Sie so etwas für möglich gehalten?«
»Nein. Ich habe natürlich angenommen,
daß sie Korsetts für modebewußte füllige Damen entwirft«, erwiderte Bittersohn.
»Es paßt irgendwie überhaupt nicht zu ihr. Sie ist intelligent, sieht gut aus,
zieht sich geschmackvoll an. Nettes Auftreten. Angenehme Persönlichkeit und die
Sprache einer Herzogin. Sicher könnte eine Frau wie Mrs. Sorpende eine bessere
Beschäftigung finden, es sei denn, sie tut es, weil es ihr Spaß macht.«
»Unmöglich. Sie hat Geldprobleme. Das
glaubt jedenfalls Mariposa, und Mariposa ist eine Expertin in Sachen Armut. Und
in einer Teestube verdient man doch bestimmt nicht viel, oder?
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