Der Rebell - Schattengrenzen #2
wichtig?
Nach kurzem Zögern ließ Matthias sich mit einem erleichterten Seufzen auf das zerwühlte Bett fallen.
Langsam ließ der Druck von Daniels Händen nach.
Oliver sah ihn über die Schulter an. Das hagere Gesicht des Beamten wirkte besorgt. In den ganzen Monaten, die sie sich kannten, hatte sich zwischen ihnen eine besondere Art von Freundschaft gebildet, in der sie nicht miteinander reden mussten, um sich einander nah zu fühlen. Sie tickten sehr ähnlich, manchmal zu ähnlich. Vielleicht lag darin ihre Bindung.
Daniel griff vorsichtig nach seiner Schulter.
»Komm Olli, ich mache erst mal deine Verletzungen sauber.«
Nachdem Daniel ihn im Bad versorgt hatte, kehrte die Welt mit ihrem Schmerz zurück.
Oliver konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Die Wut verrauchte, aber das Leid bohrte sich tiefer denn je in seine Seele.
Matthias, der im Türrahmen gestanden und zugesehen hatte, deutete über die Schulter. »Daniel, wir sollten das Blut abwaschen. Es reicht schon, dass wir eine hysterische Stationsschwester haben, die Oliver beobachtet hat.«
»Das mache ich schon selbst.« Olivers Stimme wankte.
»Idiot.« Matthias zog die Brauen zusammen und wandte sich ab.
Irritiert sah er dem Beamten nach.
»Sie hat es dir gesagt, wie?« Daniels Stimme sank zu einem Flüstern herab.
Er wusste es schon? Na klar. Sein Herz wurde schwer.
Der Fatalismus, der dieser Erkenntnis folgte, schwemmte alle Kraft aus ihm heraus.
Unter grün-roten Strähnen beobachtete Daniel ihn. Was erwartete er? Eine neuerliche hysterische Attacke?
Oliver knirschte mit den Zähnen. Nein, darüber war er nun hinaus. »Warum fällt Walter diese Entscheidung?«
Er begriff es nicht. Das musste die Hölle sein.
Daniel ließ sich auf dem Toilettendeckel nieder und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, Olli.«
»Dann rate, oder hilf mir, eine logische Lösung zu finden, bitte.«
Der Kommissar zog seine Lederjacke aus und hängte sie über einem Handtuch an den Haken.
»Macht er mir Vorwürfe, weil ich meine Mutter nicht beschützt habe?«
Daniel schüttelte den Kopf. Er verzog spöttisch die Lippen. »Ich glaube nicht, dass er zu so vielen Emotionen imstande ist. Dein Großvater ist ein gefühlskaltes Arschloch.«
»Ich weiß, aber warum?« Oliver starrte ihn an.
Daniel schien sich unter seinem Blick nicht wohlzufühlen, trotzdem wich er nicht aus.
»Die einzig erklärbare Version ist tatsächlich, dass er dir Vorwürfe macht, aber das ist nicht so. Matthias, Bernd, Gregor und ich waren in den letzten Tagen oft bei deinen Brüdern und deinem Großvater. Aber die einzige Reaktion, die er zeigt, ist eine Art Starre. Er geht jeden Tag in seinen Buchladen und macht ihn für ein paar Stunden auf, reagiert jeden Tag gleich kalt gegenüber den Jungs …« Daniel brach ab.
Erschöpft wandte Oliver sich dem Spiegel zu.
Er sah nicht sich, sondern beobachtete Matthias, der auf seinem Stuhl am Fenster saß und nach draußen starrte.
»Seit wann wisst ihr es?«
»Gregor hat es uns vorhin in der internen Besprechung mitgeteilt. Matthias und ich wollten es dir heute sagen.«
Das konnte doch nicht sein, oder hatte die Psychologin dem Kommissariat erst jetzt die Information zukommen lassen? Oliver schloss die Augen. Erneut begann er zu weinen. »Frau Richter hat es mir schon vor drei Tagen gesagt.«
»Was?« Daniel erhob sich. »Dann wusste sie die ganze Zeit mehr als wir?«
Oliver zuckte die Schultern. »Ist doch egal.«
Behutsam zog Daniel ihn an der Schulter herum. »Matthias und mir ist es ebenso wenig egal wie Bernd und Gregor.«
Oliver ließ sich gegen seine Schulter sinken. »Was wird aus meinen Brüdern?«
Sanfte Finger strichen durch sein Haar. Daniel umarmte ihn fest. »Das Beste wäre, euch alle drei in der gleichen Einrichtung unterzubringen, zumindest so lang, bis Matthias endlich Erfolg bei der Nachforschung über euren Stammbaum hat.«
Oliver klammerte sich an Daniel. »Danke.«
Heißes Wasser rann über seinen Rücken und wärmte ihn auf. In den vergangenen Tagen war es ihm unmöglich gewesen, etwas zu essen. Allein bei dem Gedanken an Nahrungsaufnahme wurde ihm übel. Er verlor Gewicht, Energie und Kraft. Vom jahrelangen Boxtraining war nach dem Krankenhausaufenthalt nur noch wenig zu sehen. Das bisschen, das er sich in den letzten Monaten eisern antrainiert hatte, verlor er gerade wieder. Aber es war egal. Für ihn versank die Welt in einem Gefühl grausamer Hilflosigkeit. Lohnte es sich, zu
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