Der Rebell - Schattengrenzen #2
verteidigt haben.
Seltsam bei einem kämpferischen Mann wie ihm.
Was geschah nun mit Tom Hoffmann? Würde er mindestens fünfundzwanzig Jahre einsitzen?
Die Zeit war eindeutig zu gering.
Warum hatte er das getan? Was hatte ihn zum Töten bewogen?
Sein Vater war wohlhabend, sogar ein bekannter Bauingenieur, leitender Unternehmer und allseits beliebt; aber die anderen kannten den wirklichen Tom Hoffmann nicht – den Choleriker.
Er wankte zwischen einem Übervater und einem Monstrum.
In all den Jahren, die sie miteinander gelebt hatten, war es ihm nicht gelungen, das Rätsel um die Psyche seines Vaters zu lösen.
Der gesellige Kollege, weltoffene Geschäftsmann Tom Hoffmann und sein Vater waren oft nicht identisch. Niemand kannte den Egoisten, den eifersüchtigen Ehemann, den brutalen Vater, der gern und oft zuschlug.
Waren die Morde nur die Spitze des Eisberges?
Egal, wie oft er ausgerastet war oder zugeschlagen hatte, Mutter gegenüber hatte er auch nie nur die Hand gehoben. Was hatte ihn also so durchdrehen lassen, dass er nur noch Hass und Instinkte auszuatmen schien?
Hing es auf irgendeine Art mit dem zusammen, was ihn umwabert hatte? Dieser schwarze Nebel, der rauchig von ihm aufgestiegen war … Unfug, das war Einbildung.
Vermutlich – nur ein Teil eines Mysteriums.
Er konnte kaum verbergen, dass er seinen Vater fürchtete und zugleich bekämpfte. Auf die Frage nach der Art von Ellis und Marcs Tod antwortete ihm die Stille.
Nur einen Punkt wagte er nicht, anzusprechen. Der Gedanke daran verursachte Oliver körperliche Schmerzen. Es war das, was er in sich verschloss, was sich durch seine Seele fraß: Warum hatte er seine Geschwister nicht retten können? Warum hatte er überlebt?
Versagt – das war es doch, oder?
Mit Micha und Chris konnte er nicht darüber reden, mit Frau Richter auch nicht, obwohl sie ihm immer wieder ihre Neutralität zugesichert hatte. Die einzigen beiden Menschen, bei denen er es wagte, waren ausgerechnet die Assistenten von Roth und Weißhaupt, Matthias Habicht und Daniel Kuhn.
Wind strich ein paar seiner Locken in Stirn und Augen. Er fuhr sich mit einer Hand durch das Haar. Um sein Handgelenk trug er ein Frotteegummi, womit er sich die Mähne zurückband. Er strich sich den langen Zopf über die Schulter. Um seine Finger zu beschäftigen, spielte er mit seinen Haarspitzen, die ihm bis in den Schoß fielen.
Die Sitzungen mit Frau Richter konnten manchmal sehr schön sein, wenn sie nicht bohrte und auf ihn einredete wie auf ein totes Pferd. Er hörte ihr lieber zu, wenn sie von ihrem Leben sprach. Leider kamen diese Momente viel zu selten vor.
Aber sie war eine Abwechslung – ein weiterer Mensch, der sich für ihn interessierte, auch wenn er sich nicht nach der Offenbarung seiner Gefühle ihr gegenüber sehnte.
Oliver vermisste seine Freunde, seine Familie, einfach alles. Nach der Mordnacht war die Wirklichkeit aus dem Gleichgewicht geraten. Jedes Detail der Normalität rückte seitdem an einen neuen Platz. Warum seine Freunde nicht kamen? Er wusste es nicht. Besonders Frank vermisste er. Frank.
Sein Herz zog sich zusammen. Frank, sein bester Freund und Partner. Wenigstens ihn hätte Oliver erwartet. Bedeuteten Freundschaft und Liebe nichts? Sie waren doch schließlich zusammen. Waren, sicher. Vermutlich schob er bereits mit anderen Kerlen eine Nummer.
Er ballte hilflos die Fäuste. Eine Mischung aus Wut und Schmerz bohrte sich tief in seine Seele.
Empfand Frank überhaupt etwas für ihn?
Er atmete tief durch und versuchte, sich zu entspannen. Mit Frau Richter hatte er nie darüber gesprochen. Das war zu privat. Es ging sie nichts an, mit wem er zusammen war oder schlief.
»Oliver, es wäre schön, wenn du wenigstens mitbekommst, dass ich seit fünf Minuten nichts mehr gesagt habe.«
Er fuhr zusammen. Kalt erwischt.
Trotzdem war er nicht in der Stimmung sich zu entschuldigen.
»Heute bin ich ein schwieriger Patient.«
Sie nickte. »Nicht nur heute, Oliver, immer. Zu Ratespielen bin ich nicht aufgelegt.«
Die Schärfe in ihrer Stimme ließ sich nicht leugnen. Sie war wütend. Verständlich. Er verhielt sich wie ein Arsch. Trotzdem konnte er nicht anders. Er fühlte sich hier wie ein Kleinkind, dem alle Entscheidungen abgenommen wurden.
Mit sechzehn war er der Jüngste in der Rehabilitation und fühlte sich unter den überwiegend alten Menschen fehl am Platz. Er mochte viele von ihnen dennoch und hatte sich mit ihnen angefreundet. Er war sicher, dass es
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