Der Rebell - Schattengrenzen #2
auf der Grenze zwischen Leben und Tod.
Zu viel Fantasie? Er rieb sich über die Augen. Vielleicht war es Einbildung? Über mangelnde Vorstellungskraft konnte er sich nicht beschweren. Seit langer Zeit hatte er keinen Stift mehr in der Hand gehabt oder geschrieben. Seine Freunde fehlten für das Rollenspiel. War es das? Ein Ausdruck seiner unterdrückten Ideen?
Er hob den Arm, an dem der Alte ihn berührt hatte. Noch immer war er kalt. Er hob beide Hände an die Nase. Sie rochen nach Erde und Laub.
Erde … Eiseskälte kroch seine Wirbel herauf und explodierte in seinem Nacken. Ein Geist.
Er richtete sich auf und zog sich rasch an.
Ungewissheit war das, was er nun am wenigsten brauchen konnte.
Auf dem Flur begegnete er Rolf, einem Pfleger aus der Nachtschicht, der gerade mit seinem Rollwagen vor dem Nachbarzimmer stehen blieb. Er sortierte ein paar Binden aus.
»Kann ich dich was fragen?«
Der übergewichtige Mulatte wandte Oliver den Kopf zu. »Klar.« Seine tiefe Bassstimme klang so herrlich real. Er verströmte Wärme. Seine Kleidung roch nach dem Essen, was er vermutlich vorhin zu Hause gekocht hatte.
Oliver atmete innerlich auf. »Sag mal, hat in meinem Zimmer mal ein alter Mann Selbstmord begangen?«
Rolfs Brauen zuckten hoch. »Woher – wer hat dir davon erzählt?«
Oliver machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ist doch egal. »Was ist passiert?«
»Das ist nicht unbedingt etwas, was ich dir erzählen möchte.« Rolf drehte sich seiner Arbeit zu.
»Komm schon …«
»Frag den, der dir den Floh ins Ohr gesetzt hat, okay?« Er griff nach ein paar Kompressen und einer Tinktur.
»Bitte …«
»Vergiss es, okay?«
Damit schien das Thema für Rolf erledigt zu sein. Oliver stöhnte. Aus ihm war keine Information herauszubekommen. Wahrscheinlich würde er überall diese Antwort erhalten.
Er ging im Geist alle Rehaangestellten durch, die er kannte, und musste seine Meinung bestätigen.
Leider gab es auch kaum einen Patienten, der lang genug hier war.
Sollte dieses Rätsel ungeklärt bleiben? Vielleicht würden Daniel und Matthias ihm helfen? Nein, dieser Gedanke war bizarr. Andererseits – der Geist hatte ihm etwas in die Hand gegeben, ein bestimmtes Wissen, sein Wissen. Nun musste er es nur noch ordnen.
Geister
R egen trommelte gegen das Fenster. Oliver zog sich die Decke über den Kopf. Er musste während seiner Überlegungen im Laufe der Nacht eingeschlafen sein. Zu einem Ergebnis gekommen war er jedenfalls nicht.
Vielleicht lag in all dem kein Geheimnis. Der Alte war einfach nur irgendwann gesprungen.
Das war zu einfach. Oliver presste die Hände auf die Augen. Das alles war zu verrückt!
Er schlug die Decke zurück und rollte sich aus dem Bett. Langsam sollte er den Kopf wieder klar bekommen, besonders, wenn Frau Richter nach dem Frühstück kam. Ihr konnte er diese Geschichte kaum auftischen – genau genommen wollte er sie selbst nicht glauben.
Seine Kleidung lag noch immer neben ihm, wie er sie in der vergangenen Nacht auf den Boden hatte fallen lassen. Gähnend zog er sich an.
Jetzt war ja wieder alles vollkommen normal. Es gab auch keinen Grund, an etwas Seltsames zu glauben. Das hier war schließlich eine Reha, kein Pflegeheim, in dem die Menschen vegetierten, bis sie wahnsinnig wurden.
Falsch.
Seit seinem Beinah-Tod nervte diese innere Stimme noch viel mehr. Er konnte sie einfach nicht mehr abschütteln. Sie hielt einen Haufen sarkastischer Kommentare bereit oder sie traf mit dem, was sie ihm einflüsterte, die Wahrheit – was zumeist beschämender war.
Ach, halt einfach die Klappe.
Verbissen schüttelte Oliver den Gedanken ab. Unfug. Hier sollten Menschen wieder aufgebaut werden.
Aber was, wenn es Rückschläge gab, wieder ausbrechende Krankheiten – die Entdeckung von etwas Unheilbarem?
Verdammt, konnte diese perfide Stimme in seinem Kopf nicht endlich mal das Maul halten?
Unheilbar krank? Die Option bestand immer. Er ließ sein T-Shirt sinken. Was, wenn dieser Mann vielleicht Krebs gehabt hatte – Verdammt! Warum zog er überhaupt in Betracht, dass es Geister gab? Wahrscheinlich war er nur Teil seiner unterdrückten Fantasie. Aber bedeutete das nicht, dass er durchknallte?
Penner, du weißt, dass es so ist. Du warst selbst hinter den Spiegeln, lang genug.
»Klappe, klar?«
Ärgerlich streifte er sich das Shirt über und ging ins Bad. Langsam verlor er wirklich den Verstand. Vielleicht war es gut, dass sich in nächster Zeit einige Sachen
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