Der Rebell - Schattengrenzen #2
wieder Anlass, dass du dich noch zerrissener fühlst.« Er schüttelte den Kopf. »Du bist verstört, verunsichert und zugleich eisern in deinem Drang, Informationen zu sammeln, koste es, was es wolle.«
Wie recht er doch hatte. Selbst jetzt fühlte er sich dazu gezwungen, zu handeln, schon um für sich alles aufzuklären, was noch ohne Verbindung im Dunkel lag. Wenn Daniel ihn unter Druck setzte, bestand die Chance, dass er eine falsche Entscheidung traf.
»Du bist immer der souveräne große Bruder, der gewohnheitsmäßig alles auf sich nimmt und alles entscheidet, zum Wohl der Kleinen.« Er presste kurz die Lippen aufeinander. »Für dich gibt es nur das wir, kein ich …«
»Falsch. In Krankenhaus und Reha habe ich ausschließlich an mich gedacht.«
Daniel hob die Hand. »Dazu hat dich deine Psychologin gezwungen. Letztlich hat dir das aber einen nachhaltigen Schock versetzt, denn du warst gar nicht gewohnt, dich um deine eigenen Gefühle zu kümmern. Deine Eltern haben es sich mit ihren Kindern leicht gemacht. Der Älteste hält schon für alles den Kopf hin. Unmögliche Einstellung.« Daniel schüttelte den Kopf, bevor er auf Oliver deutete. »Das hat sich eingebrannt. Deswegen denkst du auch bei deiner Entscheidung, Aboutreika auszuspähen, nur daran, wie du uns helfen kannst.«
Das stimmte nicht ganz. »Ich will in erster Linie für mich die Wahrheit herausfinden …«
»Und durch den Kommentar von Chris denkst du schon wieder darüber nach, wem du mit deiner Neugier Schaden zufügst, richtig?«
Wie recht Daniel doch hatte. Verzagt nickte er.
Daniel ließ laut die Hand auf den Tisch fallen. »Falsch!«
Erschrocken fuhr Oliver auf. Der Lärm würde sicher alle anderen wecken. Einen Moment lauschte er. Nichts, nur der Wind und ein vereinzelter Wagen auf der Sonnenberger Straße.
»Was meinst du damit?«
»Wenn du die Wahrheit wissen willst, geh deinen Weg. Vielleicht hilfst du sogar Aboutreikas Familie, wer weiß. Es ist in keinem Fall gut, die Tatsache, wer Aboutreika ist, unter den Teppich zu kehren.« Er setzte sich auf. »Aus reiner Unwissenheit werden sich sonst noch viele Menschen in seinem Netz verfangen und sterben.«
Der Schleier zerriss. Die Welt rückte ein winziges Stück in eine andere Richtung. Oliver verstand.
Dieses eiserne Schweigen über so viele kleine, vielleicht augenscheinlich unbedeutende Probleme, hinter denen sich schwelende Gefahrenherde verbargen, hatten zu der Todesnacht geführt.
Er nickte. »Ich weiß, was du meinst.«
»Ich will nicht, dass du dich in Gefahr begibst. Aber du wärst auf den gleichen Schluss gekommen und hättest dann vielleicht übereilt gehandelt. Das will ich nicht. Ich möchte mit dir und unseren Freunden genau planen, sodass ihr drei immer sicher seid.«
»Warum machst du das alles für uns?«
Daniel lächelte sanft. »Weil ich an Micha hänge, Chris’ dumme Sprüche mag und du mich vom ersten Moment an fasziniert hast.«
Die Worte waren eine eigene Form von Liebeserklärung. Sie drangen ohne großes Schmetterlingsgeflatter ein und setzten sich fest.
Weitere Erklärungen waren nicht notwendig.
Oliver lächelte dankbar. Wortlos leerte er seine Tasse.
Er schob seinen Stuhl zurück und trat ans Fenster. Opa blieb zurück. Sie muffte sich enger zusammen.
Mit der Kälte wehten auch feine Regentropfen heran. Trotzdem tat der frische Wind gut. Er klärte den Kopf.
Einen Moment später folgte Daniel ihm. Seine rauen Finger schoben sich unter den Pullisaum . Sie fühlten sich trocken und kalt an. Trotzdem hinterließen sie warme Spuren auf seiner Bauchdecke, die heiß hinabströmten.
Stumm ließ Oliver sich gegen ihn sinken. Er schloss die Augen.
»Was hast du nun vor?«, flüsterte Daniel dicht an seinem Ohr.
Spielte er noch mal auf Aboutreika an?
Der Gedanke entglitt ihm, als Daniels Hand unter seinen Hosenbund glitt. Er seufzte sehnsüchtig.
Walter
A m Folgemorgen erwachte Oliver von dem Gewicht Daniels, der halb über seinem Rücken lag und ihm leise ins Ohr schnarchte.
Wie angenehm sich diese Nähe anfühlte. Zum ersten Mal wachte er mit seinem Partner an der Seite auf. Eine Woge kribbelnder Wärme durchflutete ihn. Sie sammelte sich in seinem Bauch.
Fühlte sich Glück so gut an?
Wenn ja, war er nie zuvor verliebt gewesen, jedenfalls nicht so. Die Zärtlichkeit, die Daniel ihm entgegengebracht hatte, lag noch immer in der Luft. Jedes bisschen Haut kribbelte. Alle Wärme, alles Vertrauen, jede Berührung und jeden Kuss
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