Der Rebell - Schattengrenzen #2
Gärten, ein paar vereinzelte Häuser, hie und da ein Gehöft, eine ehemalige Tankstelle. Rechter Hand erhob sich über den an Hängen gelegenen Schrebergärtchen die graue Satellitensiedlung von Neu Klarenthal , die wahrscheinlich größte Bausünde der Stadt, wie sein Vater immer gesagt hatte. In dem Punkt musste Oliver ihm sogar recht geben. Eine Plattenbausiedlung hätte kaum hässlicher sein können. Links verlor sich sein Blick in weichen, grünen Hügeln, die sich bis zu seinem ehemaligen Zuhause erstreckten.
Zuhause, das Wort verursachte einen Stich in seinem Herz. Rasch verdrängte er den Gedanken.
Er spannte sich, als sie an der Fachhochschule vorüberfuhren und endlich Richtung Innenstadt steuerten. Seine Atmung beschleunigte sich deutlich.
»Was meinst du, wird uns erwarten?« Daniels Stimme zerriss die Ruhe.
Er fuhr zusammen. »Ich habe keinen Schimmer.« Oliver warf ihm einen Blick zu. »Ist das schon mal vorgekommen?«
Daniel nickte langsam. »Ganz zu Anfang, nach der Beerdigung deiner Mutter und deiner kleinen Geschwister passierte etwas Ähnliches.«
Oliver keuchte. »Was habt ihr unternommen?«
Daniel drosselte an der Ampel die Geschwindigkeit. Er zuckte mit den Schultern. »Gregor Roth stellte mich damals zur Überwachung ab.«
»Und weiter?«
Für einen Moment schwieg Daniel. Er konzentrierte sich auf die Ampelphase an der Kreuzung und gab dann etwas zu viel Gas. Die Reifen drehten auf dem nassen Untergrund durch.
Eine neue Spannung baute sich auf. Wenn die Geschichte genauso seltsam war, wie das, was Michael am Telefon gesagt hatte, würde Daniel es sicher als Unfug abtun, oder es verbarg sich eine ganz reale Gefahr dahinter.
Oliver musterte ihn. Daniels Mimik drückte reine Konzentration aus. Erst als der Wagen wieder Boden gewann, entspannte er sich und antwortete. »Das ist eine ganz eigenartige Geschichte gewesen.« Er verzog die Lippen. »In der Nacht drang wohl jemand in die Wohnung ein, griff die Jungen an und presste mit beiden Händen Christians Brustkorb zusammen.«
Oliver zuckte zusammen. »Was?«
»Das ist eine nicht unbekannte Methode, Kinder zu ersticken. Recht altmodisch allerdings.«
Olivers Kehle schnürte sich zusammen. »Hat …« Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Fragen überschlugen sich in seinem Kopf. Wie konnte es dazu kommen? Wo war Walter? Was wurde unternommen? Warum hatte niemals jemand darüber gesprochen?
Er presste die Kiefer aufeinander. »Hat Micha dir davon erzählt?«
Daniel nickte. Er drosselte erneut das Tempo. »Er sagte, der Mann sei plötzlich weg gewesen.«
»Wie?« Oliver drehte sich im Gurt, bis er Daniel direkt ansah. »Weggelaufen oder …«
»Unsichtbar geworden trifft eher zu.«
Unsichtbar, genau das, was er auch eben am Telefon gesagt hatte.
Mühsam rang Oliver nach Atem. »Glaubst du das?«
»Nein.«
»Was glaubst du?«
Daniel zuckte die Schultern. Er gab Gas. »Ich hatte den Verdacht, dass es dein Großvater war, weil er angeblich nichts mitbekommen hat. Davon abgesehen gab es keinerlei Anzeichen für einen Einbruch.«
Walter? Er war kein netter Mann, aber er würde seinen Enkeln nie etwas tun – selbst wenn, wäre es einfach nur Irrsinn, während einer laufenden Ermittlung so etwas zu machen.
Welche anderen Optionen blieben aber noch offen? Nicht sonderlich viele. Genau genommen gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder hatte Walter den Mann eingelassen oder es gab einen weiteren Schlüssel, mit dem sich dieser Kerl Zugang verschaffen konnte … oder es war eine Erscheinung … Ein Schauder rann über seinen Rücken.
Er verdrängte den Gedanken rasch wieder. So ein Unsinn. Wenn er nicht vollkommen durchdrehen wollte, sollte er sich an die Realität und die Fakten halten.
Fakten? Du ignorierst sie gerade, Trottel.
Innerlich rollte er mit den Augen. Diese Stimme nervte ungeheuerlich.
Aber war es nicht einfacher, an etwas Übersinnliches zu glauben, statt anzunehmen, dass Walter fahrlässig handelte?
Klar, aber akzeptiere endlich, was du doch schon längst weißt.
Er blinzelte. Warum antwortete er überhaupt dieser Stimme?
Hinter seinen Schläfen erwachte ein deutlicher Druck.
Er sank im Sitz in sich zusammen.
»Warum habt ihr mir davon nichts erzählt?«
»Gregor war der Auffassung, dass dich das nicht belasten sollte. Du leidest schon genug unter dem Mord und dem Prozess.«
Etwas setzte in seinem Kopf aus. Wut explodierte in seinem Schädel. Er ballte die Fäuste. »Aber es sind meine Brüder! Glaubst
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