Der Rebell
festzustellen, wer seinen Befehl mißachtet hatte. Aber er sah nichts, den die erschrockenen Pferde unter dem Eichenast bäumte sich auf und gingen durch. Die Stricke drohten die Rebellen zu erdrosseln.
»Schneidet die Leute los!« schrie Ian so wütend, daß die Kavalleristen sofort gehorchten.
Reggie feuerte auf das Seil, das den Hals des mageren Rebellen umschlang, und der Bursche fiel zu Boden. Sekunden später lagen auch die anderen im Gras. Ian ging zu dem Mann, mit dem er vorhin gesprochen hatte. Aber der Strick hatte ihm das Genick gebrochen. Auch der zweite war tot.
Vielleicht hatte der dritte, von Reggies Kugel befreit, noch eine Chance. Ian kniete neben dem Rebell nieder, der auf dem Bauch gelandet war.
Als er die kurzgeschnittenen blauschwarzen Haare sah, runzelte er die Stirn, und ein seltsames Unbehagen erfaßte ihn — noch bevor er die schlaffe Gestalt herumdrehte. Der Rebell hatte einen Schlapphut getragen, der ihm vom Kopf geglitten war und ein weiter Umhang verhüllte seinen Körper.
Mit dem kurzen Haar sah Jennifer wie ein Junge aus. Beinahe hätte Ian laut aufgekeucht. Onkel James durfte niemals erfahren, daß seine Tochter für die Konföderation spioniert hatte — und mit knapper Not dem Galgentod entronnen war.
Hastig löste Ian den Strick von ihrem Hals, stand auf und hob sie hoch. »Begrabt die beiden!« befahl er heiser. »Und glauben Sie bloß nicht, Sie würden ungestraft davonkommen, Sergeant! Diesen Fall werde ich Lincoln persönlich melden.«
»Verdammt, Sir, im Herzen sind Sie selber ein Rebell. In
Florida weiß doch jeder, daß Ihre Verwandten die Unionssoldaten umbringen!«
Statt zu antworten, schaute Ian den Mann nur an, dem brennende Röte in die Wangen stieg. Verlegen wandte sich der Sergeant zu seinen Leuten. »Begrabt die beiden.«
Ian trug Jennifer in den nächtlichen Schatten am Rand der Lichtung. Sobald er sich aus dem Blickfeld der anderen entfernt hatte, suchte er nach einem Puls, einem Lebenszeichen.
Da öffnete sie die schönen haselnußbraunen Augen.
»Ian«, formten ihre Lippen. Die Stimme gehorchte ihr jedoch nicht. Aber beruhigt senkte sie die Lider.
27
Während die Wochen verstrichen, wartete Alaina vergeblich auf Ians Rückkehr, und ihre Nervosität wuchs. Bei seinem kurzen Besuch hatte sich St. Augustine noch im Besitz der Konföderierten befunden. Jetzt gehörte die Stadt der Union, und er ließ sich nicht blicken, schrieb ihr keine einzige Zeile.
Im Frühjahr 1862 erlitten die Rebellen bittere Niederlagen. Am schlimmsten war der Verlust von New Orleans. Alaina erfuhr von Captain Willoughby — einem freundlichen alten Unionsoffizier, den sogar die eingefleischten Sezessionisten von St. Augustine mochten —, möglicherweise sei dieser Sieg ihrem Mann zu verdanken. Zuvor war das Gerücht verbreitet worden, der Generalangriff der Union würde Pensacola oder Mobile gelten. Dann hatten die US-Army und die US-Navy mit vereinten Kräften die strategisch wichtigste Stadt des Südens eingenommen. »Seien Sie stolz auf Ihren Mann, Mrs. McKenzie«, betonte der Captain. »Da er so erfolgreich für unseren Geheimdienst arbeitet, werden wir meistens über die Truppenbewegungen der Konföderierten informiert.«
Eines Tages verließ sie die Arztpraxis etwas früher als sonst und hörte Stimmen, die aus dem Gästehäuschen drangen. Offenbar unterhielt sich Lilly mit einer anderen Frau, und Sean kreischte vor Vergnügen. Neugierig öffnete Alaina die Tür. »Risa!«
Lachend stand die Besucherin auf, die sich mit Sean auf dem Boden gebalgt hatte. »Hallo!«
Alaina starrte sie ungläubig an.
»Mum!« rief Sean und lief auf seinen kurzen, dicken Beinchen zu ihr. Sie beugte sich hinab, und er drückte ihr einen Schmatz auf die Wange. Dann kehrte er eilends zu Risa zurück.
Was führte die überzeugte Unionistin nach St. Augustine? Nun mußte Alaina vorsichtiger sein denn je. Was mochte dieser Besuch bedeuten? Sie war ohnehin schon ein Nervenbündel, unentwegt von der Angst gequält, Ian könnte in die Stadt kommen, während sie ihre geheimen Aufträge erfüllte. Jetzt bereitete ihr Risas Ankunft zusätzliche Sorgen. Hatte Ian sie hierhergeschickt?
Aber das liebenswürdige Lächeln der jungen Frau wirkte offen und ehrlich. »Fühlen Sie sich nicht gut, Alaina?«
»Doch, ich bin nur — überrascht.« Alaina erwiderte das Lächeln und umarmte Risa. »Warum sind Sie zu mir gekommen?«
Risa zuckte die Achseln und strich sich die dunklen Haare aus dem
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