Der Rebell
sollte erst morgen nachmittag ankommen.«
»Anscheinend war der Wind besonders vorteilhaft.« Brent hob seinen Drink. »Prost. Deine Frau ging gestern abend von Bord. Aber reg dich nicht auf. Sydney und ich waren im Hafen, als das Schiff eintraf. Außerdem wurde Alaina von Lilly und einem Mischling namens Samson begleitet.«
»Das war einer von Teddys Feldarbeitern«, erklärte Ian und war froh, daß Julian beschlossen hatte, die beiden Frauen einem Beschützer anzuvertrauen. In Samsons Adern floß Indianerblut. Seine Mutter war eine Sklavin aus St. Augustine gewesen. Vor einigen Jahren hatte Teddy Mutter und Sohn gekauft und freigelassen. »Wo ist Alaina jetzt?«
Grinsend spähte Brent an seinem Vetter vorbei. »Schau doch! Gerade steigt sie mit Sydney die Treppe herab.«
Ian drehte sich um und beobachtete, wie ihm seine Kusine, in lavendelblauem Taft mit weißer Spitze, begeistert zuwinkte. Dann wandte sie sich zu Alaina, die immer noch Trauerkleidung trug. Wie gesponnenes Gold hob sich ihr hochgestecktes blondes Haar vom schwarzen Samt ihres weiten Umhangs ab. Ein paar Löckchen umrahmten ihr Gesicht, das eine neue Reife zeigte und schöner denn je wirkte. Obwohl sie sehr blaß war, schien sie sich wohl zu fühlen.
Zögernd nickte sie ihrem Mann zu. Er drängte sich durch die Menge zum Fuß der Treppe, küßte Sydneys Wange und zog Alaina an sich. Als er ihren runden Bauch spürte, runzelte er beunruhigt die Stirn. War das Baby nicht zu groß für eine so kleine, zierliche Frau? Hastig richtete er sich auf, legte einen Arm um ihre Schultern und küßte sie beinahe so keusch wie seine Kusine. Dann führte er die beiden Frauen zur Bar. »Tut mir leid, Alaina!« rief er, um das laute Stimmengewirr zu übertönen. »Hätte ich gewußt, was in Charleston los ist, wäre ich nicht so leichtsinnig gewesen, dich hier zu treffen.«
»Oh, ich finde den Wirbel faszinierend. Heute wird South Carolinas Sezession bekanntgegeben — und mit Musikkapellen, Paraden und einem Feuerwerk gefeiert. Ist das nicht wundervoll?«
Ihr Enthusiasmus irritierte ihn. Warum beklagte niemand das Scheitern der Union? Außerdem fragte er sich, ob Alaina in ihrem Zustand all den Aufregungen gewachsen war. »Ja, erstaunlich«, entgegnete er trocken.
Lächelnd begrüßte Brent die Damen. »Wollen wir in unser Balkonzimmer gehen? Dort können wir die Festivitäten am besten beobachten.«
»Ganz recht«, stimmte Ian in kühlem Ton zu. »Als Arzt solltest du Alaina erklären, der Tumult hier unten könnte ihr schaden.«
Brent hob die Brauen. In der Klinik hatte er die Erfahrung gemacht, daß die werdenden Mütter, die bis zum Kindbett aktiv blieben, eine besonders leichte Niederkunft erlebten. »Natürlich, Ian hat recht. Gehen wir nach oben.«
Auf dem Weg zur Treppe hörte Ian, wie jemand seinen Namen rief, und wandte sich zu seinem Großonkel Andrew Tweed um. Erfreut schüttelte er die Hand des rüstigen siebzigjährigen Mannes mit dem dichten weißen Haar.
»Was führt dich hierher, mein Junge?« fragte Andrew. »Soviel ich weiß, gehörst du dem Washingtoner Armycorps der Pioniere an.«
»Seit einiger Zeit leite ich ein Kartographenteam. Ich bin nach Charleston gekommen, um meine Frau zu treffen«, fügte Ian hinzu, zog Alaina zu sich heran und machte-sie mit seinem Großonkel bekannt.
»Ah, deine Frau und dein Kind.« Höflich beugte sich Andrew über Alainas Hand. »Brent, du hast mir gar nichts von Ians künftiger Vaterschaft erzählt«, klagte er.
»In letzter Zeit fand ich keine Zeit, dich zu besuchen, wo sich doch alle Leute vor den Pocken fürchten und das Hospital belagern.«
»Ach ja, die Seuche in Columbia ... Nun, daran wird heute niemand denken. Wie aufregend das alles ist! Wahrscheinlich bin ich nicht mehr lange Amerikaner. Und was werde ich dann sein?«
»Ein Rebell!« mischte sich ein beschwipster junger Dandy ein, der an der Theke lehnte. »Oh, da sehe ich einen Yankee! Werden Sie sich auf die Seite des unabhängigen neuen Südens schlagen, Major?«
Ian ignorierte den Trunkenbold. »Gerade wollten wir mit Alaina und Sydney nach oben gehen, Onkel Andrew.«
»Was ist los mit Ihnen, Yankee?« rief der Fremde erbost und schob sich zwischen Ian und Andrew. »Hier befinden Sie sich in einem freien Staat, und da bedeutet Ihre Uniform gar nichts.« Verächtlich spuckte er vor Ians Füße, dann riß er eine Faust hoch.
Mühelos wich Ian dem Angriff aus und streckte seinen Widersacher mit einem gezielten Kinnhaken nieder.
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